Es ist Murat Dereci zu gönnen, dass ihn und seine Familie die Härten des verschärften Fremdenrechts nicht länger treffen. Österreichs Integrationspolitik hat der EuGH damit aber einen Bärendienst erwiesen.

Das scheinbar unpolitische, streng an der herrschenden Rechtslage orientierte Urteil konterkariert nämlich auf einem Nebengleis sinnvolle Integrationsbestrebungen wie die Verpflichtung zum Deutschlernen. Das mag aktuell nicht einmal 800 Menschen pro Jahr betreffen - dennoch ist es angesichts schlechter Bildungs- und Karrierechancen speziell türkischer Jugendlicher das falsche Signal.

Der EU-Gerichtshof hätte besser daran getan, politisch zu bewerten, dass sich die Umstände, unter denen in den 1960er-Jahren in vielen Ländern "Gastarbeiter-Abkommen" geschlossen wurden, stark verändert haben. Es geht nicht um ein paar hundert Arbeiter, die in den Wirtschaftswunderländern Europas ein paar Jahre den Dreck wegputzen und dann (hoffentlich) wieder heimfahren. Es geht um eine gewachsene, große Gemeinschaft, die in den letzten Jahren, auch aufgrund der zunehmenden Aggression von rechts, ohnehin Abschottungstendenzen nach außen zeigt.

Lange genug haben Österreichs Regierende gebraucht zu erkennen, dass Integration nicht Wegschauen und Schönreden heißt. Dass nun gleich eine ganze Gruppe von Zuwanderern jeglicher Integrationspflichten enthoben wird, ist vor allem Wasser auf die Mühlen der FPÖ. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 24.4.2012)