Berlin - "Ey Alder, isch mach disch Messer, ischwör!" Wer in Deutschland diesen Satz hört, der schaut entweder türkische Comedy im Fernsehen - oder steht mitten in Berlin-Kreuzberg. Manchen lässt dieser Jugend-Kauderwelsch schaudern, andere hingegen finden ihn amüsant.

Heike Wiese, Sprachwissenschafterin an der Universität Potsdam (Lehrstuhl Deutsche Sprache der Gegenwart), hat diese Form der Kommunikation zum Forschungsgebiet gemacht und ist überzeugt: "Das ist keine Verhunzung der deutschen Sprache, sondern ein neuer Dialekt, der gesprochen wird, wo Jugendliche mit Migrationshintergrund leben."

Sogar einen eigenen Namen gibt es in Deutschland dafür: Kiezdeutsch. Als "Kiez" wird vor allem in Berlin ein überschaubares Gebiet in der Stadt bezeichnet, in dem der Anteil von sozial Benachteiligten hoch ist.

Relativ-Deutsch in Bayern

Heike Wiese selbst ist Kiezdeutsch vor einigen Jahren aufgefallen. Immer wieder hörte sie in Berlin diese Ausdrücke, bis sie bemerkte: Da steckt System dahinter. Seither erforscht sie Kiezdeutsch und kämpft für dessen Akzeptanz. Denn viele Sprachwissenschafter in Deutschland sind gar nicht ihrer Meinung. Sie finden, man müsse Jugendlichen mit Migrationshintergrund Kiezdeutsch austreiben, weil sie sonst nicht richtig Deutsch lernten und am Arbeitsmarkt weniger Chancen hätten.

"Jugendliche grenzten sich schon immer durch Sprache von Erwachsenen ab, das ist kein neues Phänomen", sagt hingegen Wiese. Außerdem gebe es die deutsche Standardsprache ohnehin nur im Duden. Sie verweist auf Bayern, wo Relativsätze oft mit "die wo" eingeleitet werden ("Die Frau, die wo im roten Auto fährt").

"Auch Deutsche sprechen so"

Kiezdeutsch werde vor allem gesprochen, wenn Jugendliche mit unterschiedlichen Muttersprachen (Türkisch, Arabisch) eine Clique bilden. Das Vorurteil, dass nur junge Menschen mit ausländischen Wurzeln Kiezdeutsch sprechen, weist Wiese zurück: "Auch Deutsche sprechen so, wenn sie mit ihren Freunden zusammen sind. Es ist ein Ausdruck der Integration in einem mehrsprachigen Viertel."

Sogar eine sehr gelungene Integration, ist Wiese überzeugt. Denn Deutsche übernehmen auch Wörter aus dem Türkischen oder Arabischen wie " lan" ("Mann/Typ"). Dies wird ähnlich wie "Alter" gebraucht.

Jugendliche unterscheiden sehr wohl

Sorgen, dass diese Jugendlichen die korrekte deutsche Sprache vernachlässigen, macht sie sich nicht. "Ein einziges Deutsch für jeden Menschen gibt es ja gar nicht." Wer auf Kiezdeutsch parliere, der könne, etwa im Job, durchaus auch korrektes Deutsch sprechen. Wiese: "Wenn ich mit meiner Schwester telefoniere, rede ich natürlich ganz anders als bei einer Behörde." Man könne also getrost von den Jugendlichen erwarten, dass sie diese Unterscheidung ebenfalls treffen.

Das schlechte Image von Kiezdeutsch führt die Sprachwissenschafterin darauf zurück, dass Standarddeutsch mit Mittelschicht gleichgesetzt wird. Kiezdeutsch hingegen mit sozial schwächeren Schichten. Dabei sei Kiezdeutsch gewollt verkürzt und habe mit dem oft schlechten Deutsch der ersten Gastarbeitergeneration nichts zu tun.

Und sprachliche Merkwürdigkeiten fänden sich in Deutschland auch bei Deutschen zuhauf. "Das ist meiner Mutter sein Hut", habe sie in Göttingen einmal einen Buben zu einer Verkäuferin sagen hören. Die dann prompt korrigierte: "Du meinst wohl: Das ist deiner Mutter ihr Hut." (bau, DER STANDARD, 24.4.2012)