Ich kritzle schon mein ganzes Leben lang gern. Meine Schulbücher waren seitenweise gespickt von Kringeln, Ornamenten und Mäandern. Und in Zeiten, in denen das Telefonieren noch ausschließlich über Festnetzanschlüsse funktionierte, habe ich mir bei langwierigen Gesprächen regelmäßig die Zeit mit dem Bemalen von Post-its, Taschentüchern und Servietten vertrieben.
Entwöhnung misslungen
Dass ich mit meinen Kritzeleien auch einen Zweck verfolgen kann, war mir bis zu Oliver Weiss' Buch "Lass stecken. Kritzeln statt qualmen" allerdings nicht bewusst. Die Broschüre sollte der Raucherentwöhnung dienen - hat bei mir leider nicht funktioniert. Ich rauche nach wie vor, die Lust am Kritzeln ist mir auch nicht vergangen.
Vollkommen klammerfrei
Mit Weiss' neuer Veröffentlichung "Lass los. Kritzeln statt klammern" wird mein Bedürfnis zu kritzeln endlich wieder gestillt. Zwar bin ich schon lange getrennt, habe aber - man verzeihe mir meine Unbescheidenheit - weder während meiner Beziehung geklammert, noch hänge ich ewig der Vergangenheit nach. Dennoch, ich gestehe, ein Restverlangen, Dinge an den Ex-Mann zu bringen, ist vorhanden.
Tränenmeer und Vodoozauber
Ich lasse nun seit Tagen kritzlerisch alle Phasen meiner zurückliegenden Trennung Revue passieren, und ganz ehrlich, es ist ein befreiendes Gefühl. Jetzt male ich ein Tränenmeer und Luftschlösser für andere, kritzle Gras über die ganze Angelegenheit, betreibe Vodoozauber am Papier und erfreue mich am Anblick der sechs Dinge, die ich an meinem Ex sowieso nie mochte.
Herrlich, jeder Psychologe hätte seine wahre Freude an mir. Mein laienhaft analytisches Denken sagt mir, in der Akutphase einer Trennung wird das Kritzeln wohl kaum eine therapeutische Wirkung bringen, Jahre später macht es den Rucksack aber auf jeden Fall leichter. (Regina Philipp, derStandard.at, 27.4.2012)