Wien - Bisher wurde angenommen, dass die sogenannte chronische myeloische Leukämie (CML) aus Stammzellen des Knochenmarks entsteht, während sich eine andere Leukämieart, die sogenannte B-Zellen-assoziierte akute lymphatische Leukämie (B-ALL) sich aus Vorläuferzellen von B-Lymphozyten entwickeln würde. Doch diese Ansicht wurde jetzt von Wissenschaftern der Institute für Tierzucht und Genetik und für Pharmakologie und Toxikologie der Vetmeduni Wien widerlegt.

Die Experten unter Boris Kovacic konnten zeigen, dass sowohl CML als auch B-ALL aus den ursprünglichsten blutbildenden Zellen entstehen, den sogenannten hämatopoetischen Stammzellen, hieß es am Dienstag in einer Aussendung. Der Unterschied zwischen den beiden Krebsformen liegt in den weiteren Entwicklungspfaden, die die Krebszellen nehmen. Die übliche Ursache für CML und für B-ALL sind zwei leicht verschiedene Formen des durch Mutation entstandenen Krebsgens BCR/ABL, die man mit den Namenszusätzen "p210" und "p185" unterscheidet.

Unerwartete Entdeckung

Die Erkenntnis der Wissenschafter: Wenn die entarteten hämatopoetischen Stammzellen die mutierte Genversion BCR/ABLp210 enthalten, entsteht CML. Die kranken hämatopoetischen Stammzellen bleiben dabei erhalten und sorgen für den Fortbestand der Erkrankung. Will man CML heilen, muss man die kranken hämatopoetischen Stammzellen völlig loswerden. Wenn in diesen Zellen jedoch durch Mutation stattdessen die Genversion BCR/ABLp185 vorliegt, so entsteht daraus die hochaggressive B-ALL-Leukämie. Die Entdeckung des Forscherteams, dass beide Leukämieformen aus derselben Stammzellenart entstehen, war völlig unerwartet und stellt bisher geltende Erklärungen für diese Leukämieformen von Grund auf infrage.

Kovacic und seine Kollegen konnten in ihrer Studie weiters zeigen, dass die B-ALL-Leukämie nur entsteht, wenn die mutierte Stammzelle dem Wachstumsfaktor Interleukin-7 ausgesetzt ist. Interleukin-7 ist in den allermeisten Fällen im Gewebe vorhanden. Entfernt man es während des Beginns der Zellentartung, kann sich wiederum eine B-ALL-Leukämie nicht entwickeln.

Mögliche Konsequenzen für Therapie

Die Entdeckungen könnten in Zukunft auch Konsequenzen für die Therapie der verschiedenen Leukämieformen haben. Unglücklicherweise sprechen die Krebszellen, welche die beiden BCR/ABL-Mutationen für CML oder B-ALL aufweisen, unterschiedlich gut auf Behandlungsversuche an. Die Zellen mit der BCR/ABL-Variante "p185" (B-ALL) sind an sich gut für Behandlungen zugänglich, da sie im Körper der Erkrankten sehr häufig sind. Bleibt aber nur eine einzige dieser Zellen verschont, so kann sich daraus in der Folge eine noch aggressivere Leukämieform entwickeln. Andererseits sind die "p210"-Zellen schwierig zu behandeln, da sie sich im Organismus sehr ruhig verhalten und Chemotherapien vor allem sich teilende Zellen treffen.

"Eine Therapie, die alle Tumorzellen als Ganzes ins Visier nimmt, kann deshalb nicht funktionieren", so Kovacics Erklärung. "Wir müssen noch viel mehr über die Entwicklung der Krankheit herausfinden. Wir brauchen in Zukunft eine Therapie, die bei den wirklichen Ursprüngen beider Leukämieformen ansetzt, bei den hämatopoetischen Stammzellen", fügte der Experte hinzu.
(APA/red, derstandard.at, 24.4.2012)