Die "Sonne" war einen Monat lang auf Forschungsfahrt.

Foto: RF Forschungsschiffahrt Bremen

Wien - Das verheerende Erdbeben und der darauffolgende Tsunami am 11. März 2011 haben nicht nur an der japanischen Küste große Spuren hinterlassen. Auch in dem Unterseegebiet, wo sich das Epizentrum befand, finden sich Spuren dieses und ähnlich verheerender früherer Beben. Das haben deutsche, schweizerische und japanische Wissenschafter durch Analysen des Meeresbodens im Japanischen Graben etwa 130 Kilometer vor der Küste nachgewiesen. Erste Ergebnisse haben die Forscher auf der Generalversammlung der Geowissenschaftlichen Union (EGU) in Wien präsentiert.

Um ein derart großes Gebiet wie das des Epizentrums des sogenannten Tohoku-Bebens wissenschaftlich zu analysieren, brauche es vor allem mehrere geeignete Geräte, so der Direktor des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) in Bremen, Gerold Wefer. In Zusammenarbeit mit japanischen Erdbebenforschern hat das deutsche Forschungsschiff "Sonne" mittels Fächerecholot das Profil des Meeresbodens zwischen dem 8. März und 6. April vermessen.

Erforschung des Meeresbodens

Aufgrund des Vergleichs der neuen Daten mit Aufzeichnungen aus den Jahren 1999 und 2004 konnten die Wissenschafter bereits zuvor gefundene Veränderungen des Meeresbodens in höherer Präzision bestätigen. Es zeigte sich, dass sich der Meeresboden auf einem Gebiet von über 15.000 Quadratkilometern um durchschnittlich etwa fünf Meter gehoben hat und große Erdbewegungen stattfanden. Die Erdkruste riss auf etwa 400 Kilometern Länge auf und einzelne Bereiche wanderten um bis zu 50 Meter nach Osten.

Im zweiten Teil der Expedition entnahm eine Forschungsgruppe um Michael Strasser vom Geologischen Institut der ETH Zürich Bohrkerne des Meeresbodens in 1.350 bis 7.550 Metern Tiefe. In den Proben konnten die Wissenschafter den "Fingerabdruck" des Tohoku-Erdbebens nachweisen. Die Ablagerungen in den Kernen geben den Forschern auch die Möglichkeit, weiter in der Zeit zurück zu gehen. In ersten Analysen fanden sie auch Spuren von mindestens drei weiteren Beben ähnlichen Ausmaßes, die in der Vergangenheit stattgefunden haben. So fanden Strasser und seine Kollegen Mikrofossilien in 7.550 Meter Tiefe, die eigentlich nur in bis zu 4.000 Meter tiefen Meeresböden zu finden seien - eindeutige Hinweise auf Unterwasserbeben, wie der Forscher erklärte.

In weiteren Untersuchungen gehe es darum, Hinweise darauf zu finden, wann diese Verwerfungen im Meeresboden stattgefunden haben. Die Untersuchungen könnten dabei helfen, die Auftrittswahrscheinlichkeit solcher Beben zukünftig besser einzuschätzen.

Schnelle Daten durch GPS

Noch konkretere Prognosemöglichkeiten könnten indessen GPS-Daten liefern: Wissenschafter des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam konnten zeigten, dass beim Tohoku-Beben mit Hilfe der hochpräzisen Auswertung von GPS-Daten bereits nach etwas über drei Minuten eine Abschätzung der Bebenstärke sowie des Tsunamis möglich gewesen wäre. Dies hätte eine rasche und detaillierte Tsunami-Frühwarnung ermöglicht, heißt es in einer Aussendung des GFZ.

Ein Vorteil eines GPS-Messnetzes in der Nähe des Bebenherdes liegt nach Angaben der Wissenschafter in der Verfügbarkeit von Messdaten bereits kurz nach Beginn eines Erdbebens. Noch während die Erde bebt könne die horizontale und vertikale Verschiebung der tektonischen Platten erfasst werden. Dies sei vor allem bei küstennahen Erdbeben von Vorteil, weil die Vorwarnzeit vor Tsunamis für die Küstenabschnitte sehr kurz sei.

Forscher spricht von "GPS-Schutzschild"

"Wir haben anlässlich des Fukushima-Bebens über 500 GPS-Stationen ausgewertet und gezeigt, dass bereits drei bis vier Minuten nach Beginn des Erdbebens eine korrekte Abschätzung der Magnitude von 9,0 und des Tsunami möglich gewesen wäre", erklärte Andrey Babeyko vom GFZ. Die Wissenschafter müssen dazu zuerst die GPS-Rohdaten mit Hilfe hochpräziser Satellitenbahndaten auswerten. Aus den resultierenden Verschiebungen wird dann ein räumliches Erdbebenmodell erzeugt, aus dem die Verformung des Meeresbodens berechnet werden kann. Im letzten Schritt können durch die Berechnung der Tsunami-Ausbreitung die Warnstufen für die Küstenabschnitte bestimmt werden.

Nach Ansicht Babeykos könnte "ein GPS-Schutzschild ein sinnvolles Werkzeug für alle Regionen mit Erdbeben- bzw. Tsunami-Gefährdung sein". Dagegen benötige eine vollständige Erdbebenauswertung mit traditionellen seismologischen Methoden Zeit, die man im Fall von Tsunamigefahr nicht habe. Zudem würden diese Methoden zu einer Unterschätzung der Momentenmagnitude bei sehr starken Beben tendieren. GPS-Messungen der horizontalen und vertikalen Verschiebung könnten diesen Effekt korrigieren. Das System wurde für das Tsunami-Frühwarnsystem GITEWS entwickelt, das die Helmholtz-Gemeinschaft unter Federführung des GFZ im Auftrag der deutschen Bundesregierung für Indonesien gebaut hat. (APA/red, derStandard.at, 25.4.2012)