Premier Yousuf Raza Gilani (Mitte) verlässt nach Urteilsverkündung und Verbüßung der Strafe das Gerichtsgebäude.

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Islamabad/Neu-Delhi - Eine "Haftstrafe" von nur wenigen Sekunden Länge - eine Lachnummer, aber für Yousuf Raza Gilani könnte sie ein böses Nachspiel haben: Das Oberste Gericht des Landes sprach Pakistans Premier am Donnerstag schuldig, richterliche Anordnungen missachtet zu haben, weil er alte Korruptionsverfahren gegen Präsident Asif Ali Zardari nicht neu aufrollen wollte. Das Urteil könnte Gilani seinen Posten kosten, denn gemäß Pakistans Verfassung darf ein Verurteilter kein öffentliches Amt bekleiden.

Zwar wagten es die Richter dann doch nicht, Gilani tatsächlich ins Gefängnis zu werfen. Stattdessen ließen sie ihn, je nach Berichtsquelle, 30 Sekunden bis drei Minuten im Gericht "absitzen". Diese "Haftstrafe" könnte als eine der kürzesten ins Guinness-Buch der Rekorde eingehen.

Selbst Gilani musste lächeln, doch seine Zukunft ist ungewiss. Analysten sind uneinig, ob der 59-jährige sein Amt aufgeben muss. Die meisten glauben eher nicht, dass Gilani tatsächlich des Amtes enthoben wird. Aber die Richter liefern der Opposition mit ihrem Urteil neue Munition.

Opposition wetzt Messer

Diese wetzte prompt die Messer und forderte Gilani zum Rücktritt auf. "Er hat seine legale und moralische Autorität verloren", wetterte Pakistans neuer Polit-Star, der Cricketspieler Imran Khan.

Andere sahen einen "Sieg für die Regierung", weil Gilani vorerst im Amt bleibt und nicht hinter Gitter wandere.

Bemerkenswert ist, dass es diesmal nicht das Militär, sondern die Richter sind, die der Regierung zusetzen. Das Verfahren gilt als Teil eines Machtkampfes zwischen Regierung, Militär und Justiz. Die Richter hatten vor mehr als zwei Jahren angeordnet, dass Gilani die Schweiz bittet, alte Geldwäsche- und Korruptionsverfahren gegen Zardari neu aufzunehmen. Doch Gilani weigerte sich, weil er fand, dass Zardari als Präsident Immunität genießt. Die Fälle reichen zurück bis in die 1980er-Jahre. Dabei soll es um mehrere Millionen Euro gehen, die Zardari und seine Ende 2007 ermordete Frau, die frühere Premierministerin Benazir Bhutto, auf Schweizer Konten beiseitegeschafft haben sollen.

Die beiden lebten dann lange im Exil, bis der frühere Militärherrscher Pervez Musharraf ihnen auf Druck der USA 2007 Amnestie gewährte. Von dem Amnestiegesetz profitierten auch tausende andere korruptionsverdächtige Politiker und Spitzenbeamte. Das Oberste Gericht kassierte die Amnestie dann aber als verfassungswidrig ein und verlangt seit 2009 von Gilani, die Ermittlungen wieder voranzutreiben.

Dem Westen dürfte es gelegen kommen, dass Gilani zunächst im Amt bleibt. Die Nato verhandelt derzeit über ein Ende der Blockade der Nato-Transporte durch Pakistan nach Afghanistan. Pakistan hält nämlich seit November 2011 die Nachschubrouten gesperrt, nachdem die Nato bei einem Luftangriff 24 pakistanische Soldaten getötet hatte.

Für die Pakistanis bedeutet die politische Dauerkrise jedoch wenig Gutes. Die von der Bhutto-Partei PPP geführte Regierung ist seit ihrem Antritt 2008 vor allem damit beschäftigt, sich an der Macht zu halten. Dies ist typisch für den südasiatischen Atomstaat. Regierung, Opposition, Militär und Justiz verstricken sich traditionell lieber in lähmende Machtkämpfe als sich um die drängenden Pro-bleme zu kümmern. Dabei gibt es genug davon: Massenarmut, Terror, massive Finanznöte und ein desolates Verhältnis zu den USA, um nur einige zu nennen. (Christine Möllhoff, DER STANDARD, 27.4.2012)