Mit einem Satz frischer Kleidung im Plastiksackerl schließt sich ein Mann in Arbeitskleidung in einer der silbernen Kabinen ein. Von nun an hat er eine Stunde Zeit, um sich in der Brausekabine an- und auszuziehen und gründlich zu duschen. Er hat dafür 2,30 Euro gezahlt. Der Mann ist einer von rund 20 Personen, die täglich in das Brausebad in der Friedrich-Kaiser-Gasse 11 einkehren, um ihre Körperhygiene zu erledigen, weil sie selbst keine Dusche besitzen.
Überleben durch Wellnessangebote
Die fünf weiteren Wiener Brausebäder, die nicht mit einem Schwimmbad gekoppelt sind, haben bereits in den 1970er Jahren mit der Aufrüstung zu einem Saunabad begonnen. Die anderen sind eingegangen.
Nur die Friedrich-Kaiser Gasse trotzt der Wellnesswelle und bleibt weiterhin ein "Tröpferlbad". Den Spitznamen erhielt das Wiener Phänomen übrigens wegen des schwachen Wasserdrucks. Bei hohem Andrang tröpfelte es spärlich aus dem Brausekopf.
Die Erhaltung ist nur möglich, weil die Stadt reichlich subventioniert. Eine Dusche würde den Duschenden mit Personalkosten und Energiekosten theoretisch rund 10 Euro kosten, rechnet Martin Kotinsky von den Wiener Bädern. Die meisten Besucher besitzen allerdings einen Mobilpass oder empfangen Sozialhilfe und zahlen deshalb gar nichts.
Fünf Mio. Menschen gingen 1950 auswärts duschen
Im Erdgeschoss eines Wohnhauses in der Friedrich-Kaiser-Gasse reihen sich rund 50 Duschen an den gefliesten Gang. Ein paar Gummibäume und Gartenmöbel am Empfang sollen wohl das Warten angenehmer machen. Warten ist allerdings nicht mehr notwendig. Noch 1950 besuchten über fünf Millionen Menschen die Wiener Brausen. Im Vorjahr waren es nur noch 33.000 Duschgäste verteilt auf die sechs Brausebäder, 4.158 für die Friedrich-Kaiser-Gasse.
Ein direkter Zusammenhang zum steigenden Wohnkomfort: Die Wohnungen in Wien wurden nach dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr mit Badezimmern ausgestattet. Die Schwimmbäder setzten auf den Sportbetrieb.
Amalienbad sperrt wegen Umbau zu
Von den Wiener Schwimmbädern, die noch ein Brausebad anbieten, wird nun auch das letzte "wirklich historische" generalsaniert. Das Amalienbad in Wien-Favoriten soll ab dem 4. Juni eine neue Schwimmbadtechnik bekommen und dadurch seinen Energieverbrauch um bis zu 1,1 Millionen Euro im Jahr senken.
Gleichzeitig wird ein barrierefreier Zugang geschaffen und die Beleuchtung modernisiert. Bis voraussichtlich zum 17. Dezember wird der Badebetrieb eingestellt. Die Gesamtkosten der Sanierung belaufen sich auf rund 10,3 Mio. Euro.
Das Gebäude ist für seine einzigartige Innenarchitektur bekannt, die auch unter Denkmalschutz steht. Es finden sich dort unter anderem Art-Deco-Stilelemente im Warmwasserbecken sowie zahlreiche Flächen mit Mosaik-Fliesen. (Maria von Usslar, derStandard.at, 27.04.2012)