Ende März veröffentlichte ich im STANDARD einen Kommentar über den "Richtungsstreit in der Hamas". Ausgangspunkt waren provokante Positionen der Hamas-Führung im Gaza-Streifen: Auf einer Reise nach Teheran hatte der Gaza-Ministerpräsident Ismael Haniyeh die "Sinnlosigkeit von Friedensverhandlungen" und bewaffneten "Widerstand bis zur vollständigen Befreiung Palästinas" beschworen. Fast zeitgleich hatte sich Hamas-Exilführer Khaled Mashal zu einem palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 bekannt. Der Beitrag verglich die widersprüchlichen Äußerungen und plädierte dafür, die Fürsprecher der moderateren Position trotz aller Vorbehalte diplomatisch einzubinden.

Anfang April reagierte Florian Markl auf diesen Beitrag mit einem Kommentar unter dem Titel "Ein Antisemit als 'Hoffnungsträger' im Nahost-Konflikt?". Markl ist Mitarbeiter der Medienbeobachtungsstelle Jerusalem, die sich nach eigener Aussage zum Ziel gesetzt hat, "zur Verbesserung der Qualität der Berichterstattung über Israel beizutragen". Ihrer Webseite zufolge befasst sich die Organisation mit der "Bedrohung des jüdischen Staates durch seine Feinde", der "kontinuierlichen Propaganda" der Mainstream-Medien und dem "Charakter der Muslimbrüder". Ähnlich undifferenziert ist leider auch Markls Kritik.

Wo bleibt die Aktualität

Als Ausgangspunkt nimmt Markl eine Brandrede Khaled Mashals, die dieser vor sechs Jahren gehalten hat. Aktuellere Äußerungen Mashals zur Anerkennung der Zweistaatenlösung und zur Unterstützung von Verhandlungen blieben unerwähnt. Stattdessen kritisiert er das "Ignorieren logischen Argumentierens". Schließlich sei es "rational nicht nachvollziehbar", dass eine Versöhnung der Hamas mit der säkularen Fatah von Palästinenserpräsident Abbas "die Akzeptanz der Hamas für eine Zweistaatenlösung bedeuten würde".

Als Beleg zitiert Markl einen von mir vor drei Jahren veröffentlichten Beitrag, der den "Transformationsprozess der Hamas von einer terroristisch agierenden politisch-sozialen Bewegung hin zu einem pragmatischen Akteur von Staatlichkeit" untersuchte. In dem akademischen Text wurde Haniyeh als maßgeblicher Akteur dieses Prozesses beschrieben.

Die jüngsten radikalen Äußerungen Haniyehs in Teheran nimmt Markl nun zum Anlass, jede differenzierte Analyse der autoritären Hamas in Gaza aus den Vorjahren als Propaganda abzutun. Denn, so fragt er, wie könne Haniyeh im Jahre 2009 Transformationsprozesse vorantreiben und 2012 zum radikalen Flügel der Hamas zählen? "Entweder hat sich Haniyeh seit seinem Machtantritt im Gazastreifen nicht 'gemäßigt', oder Bröning hat sich durch den sanfteren Tonfall der Hamas hinters Licht führen lassen."

Schwarz-Weiß-Denken, das nicht weiterbringt

Dies Entweder-oder ist bezeichnend für Markls Analyse. Denn eine dritte Erklärung für Haniyehs Kurs vermag ein solches Schwarz-Weiß-Denken nicht zu erkennen. Dies ist bedauerlich, macht doch gerade diese den aktuellen Machtkampf in der Hamas zu dem, was er ist: eine Auseinandersetzung um die Zukunft der Bewegung vor dem Hintergrund des Arabischen Frühlings. Der Weg der Islamisten an die Macht in Kairo hat die Hamas-Führung in Gaza zu Maximalforderungen ermutigt und die bedrängte Auslandsführung zu Zugeständnissen bewegt. Dieser Richtungsstreit wird nicht zuletzt in den aktuell laufenden geheimen Wahlen für das neue Hamas-Politbüro ausgefochten.

Für Markl jedoch findet der Arabische Frühling ebenso wenig statt wie ein Machtkampf in der Hamas - er erwähnt beide mit keiner Silbe. Stattdessen serviert er lieber abgestandene Rhetorik. Die komplexe Wirklichkeit - so scheint es - möge bitte draußen bleiben.

Markls Medienbeobachtungsstelle Jerusalem bemüht sich darum, Informationen zu verbreiten, "die sonst kaum in den Medien Platz finden". Sie hätte gut daran getan, zunächst die tiefgreifenden Umbrüche zu berücksichtigen, über die umfassend berichtet wurde. Analysen mit Scheuklappen sind schnell geschrieben - gehen aber allzu oft in die falsche Richtung. (Michael Bröning, derStandard.at, 26.4.2012)