Grelle Lichter, dröhnende Bässe und lautes Kreischen: Der Wiener Wurstelprater ist alles andere als leise und dezent. Verlässt man allerdings nach Sonnenuntergang das Vergnügungsviertel und quert die Prater Hauptallee mit ihren abendlichen Joggern, wird es ganz schnell dunkel. Und ruhig. Vereinzelt bieten eine Handvoll Afrikanerinnen ihre Dienste als Sexarbeiterinnen an. Zwischen parkenden Autos und neben dunklen Gebüschen. Sicher erscheint diese Umgebung ohne ausreichende Beleuchtung nicht.
Zwischen dem grauen Betonbau mit der Aufschrift "Messe Wien", einem kahlen Austria Trendhotel und einer dunklen Parkgarage drängen sich schließlich rund 50 Frauen in knappen Röcken und Netzstrümpfen. Immer wieder drehen Autos mit überwiegend osteuropäischen Kennzeichen ihre Runden. Die Perspektivstraße direkt neben dem bunt beleuchteten Kasino am Beginn des Wurstelpraters ist der neue "Hotspot" der Straßenprostitution in Wien. 50 Frauen sind auf einer Gasse eine große Zahl, doch verschwindend wenig im Vergleich zu der Anzahl an Frauen, die sich im Bereich der Felberstraße und Äußeren Mariahilfer Straße im 15. Wiener Gemeindebezirk auf dem Straßenstrich anboten.
Frauen von der Straße verschwunden
Dort standen nach Schätzungen von NGOs und Polizei jahrelang ungefähr 200 Frauen am Straßenrand oder in den Gassen zwischen Technischem Museum und Westbahnhof. Jahrelang liefen Anrainer, die sich zu einer "Bürgerinitiative" zusammenschlossen, gegen den Straßenstrich vor ihrer Haustür Sturm. "Die Prostituierten erzählten, dass sie beschimpft und mit Kübeln voller Wasser überschüttet wurden", berichtet Marta Jozwiak vom Verein LEFÖ, der sich für die Rechte von Migrantinnen in der Sexarbeit einsetzt. Jahrelang wurde der Streit im 15. Bezirk ausgetragen, ohne dass es jemals eine Veränderung oder gar Lösung der Situation gab.
Mit dem neuen Wiener Prostitutionsgesetz, das im November 2011 in Kraft trat, verschwanden die Sexarbeiterinnen allerdings schlagartig von den Straßen. Sie sollten nun in neu geschaffenen Erlaubniszonen ihrer Arbeit nachgehen. Drei der vorgeschlagenen Zonen am Gürtel scheiterten allerdings bereits im November am Widerstand der Bezirke. Damit war die Zone rund um den Prater in der Leopoldstadt die einzige verbleibende Alternative, nachdem die Empfehlung für den Auhof von der Stadt Wien wieder zurückgenommen wurde.
In die Illegalität gedrängt
In der Erlaubniszone am Prater kam allerdings nur ein Viertel der Sexarbeiterinnen aus dem 15. Bezirk an. Die Stadt Wien verbuchte das als Erfolg, man habe die Straßenprostitution erfolgreich eindämmen können. Doch wohin die Frauen gegangen sind, weiß niemand genau. NGOs vermuten die Sexarbeiterinnen in Bordellen und Privatwohnungen oder gehen davon aus, dass sie in andere Bundesländer gereist sind.
Recherchen in einschlägigen Freierforen im Internet legen allerdings nahe, dass die Frauen noch immer da sind - nur noch weiter in die Illegalität gedrängt wurden. Noch immer werden auf diesen Webseiten Sexarbeiterinnen empfohlen, die am "Felberstrich" tätig sind. "Heute hat B. schwarze hohe Stiefel und einen kurzen schwarzen Rock an und steht am Würstelstand an der Ecke" ist einer der typischen Hinweise, die sich die Freier gegenseitig geben, um dort mit Sexarbeiterinnen in Kontakt zu kommen.
Auch am Brunnenmarkt im 16. Bezirk, dem Gewerbepark Stadlau und im Auhof sind laut Foreneinträgen Frauen zu finden. Dabei ist es laut Gesetzestext allerdings für die Sexarbeiterinnen nur im Auhof legal, ihre Dienste anzubieten. Laut Elisabeth Jarolim, Ärztin an der STD-Ambulanz der Stadt Wien, die für sexuell übertragbare Krankheiten zuständig ist, geht die Zahl der Frauen im Auhof allerdings zurück. "Seit die Stadt Wien die Empfehlung für dieses Gebiet wieder zurückgenommen hat, stehen nur noch ein paar Sexarbeiterinnen in dieser Zone. Am Anfang standen viele neue Frauen direkt bei der Autobahnabfahrt, weil sie es nicht anders wussten. Das war gefährlich."
Gewalt und Dumpingpreise
Marta Jozwiak, die auch regelmäßig als Streetworkerin in der Sexarbeiterinnen-Szene unterwegs ist, berichtet dennoch von mehr Übergriffen durch Freier im Auhof. Allerdings steige die Gewalt auch in der Erlaubniszone rund um den Prater. Da keine Lokale oder Stundenhotels in der Nähe des Vergnügungsviertels sind, müssen die Frauen zu den Freiern in den Wagen steigen, um irgendwo hinzugelangen. Außerdem steigere die Konzentration des Straßenstrichs auf den Prater den Konkurrenzkampf zwischen den Sexarbeiterinnen. Das Ergebnis: Die Frauen würden Sexpraktiken anbieten, die sie zuvor nicht gemacht hätten. Geschlechtsverkehr gibt es laut Internetforen zu einem Dumpingpreis von 30 Euro pro Freier.
Die fehlende Infrastruktur und die ebenfalls fehlenden Sanitäranlagen am Prater verstärken außerdem die Abhängigkeit von Zuhältern. "Selbstbestimmtes Arbeiten wird ihnen dadurch fast unmöglich gemacht", sagt Jozwiak. Dadurch, dass viele der vormals etwa 200 Straßensexarbeiterinnen des 15. Bezirks ihre Dienste in ihrer eigenen Wohnung anbieten, sind sie für die Sozialarbeiterinnen und die Exekutive auch nicht mehr erreich- und überprüfbar. Zu den Nigerianerinnen, die noch vor einem halben Jahr im Prater arbeiteten, habe man alle Kontakte verloren.
Kontrollen durch Polizei
Um zumindest für eine gefühlte Sicherheit am Straßenstrich zu sorgen, führt die Wiener Polizei täglich zwischen 12 und 2 Uhr sogenannte Schwerpunktaktionen am Prater durch. Dabei werden einerseits die grünen Kontrollkarten überprüft, die alle Sexarbeiterinnen bei sich haben müssen und Auskunft über die medizinischen Tests geben, und andererseits auch Freier abgestraft.
Alleine im März wurden nach Auskunft von Michael Lepuschitz von der Sicherheits- und Verkehrspolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Wien 263 Anzeigen nach dem Wiener Prostitutionsgesetz erstattet, darunter waren auch 25 Freier.
Aufklärungsarbeit
Elisabeth Jarolim von der STD-Ambulanz ist neben ihrem Job in der Praxis auch in der Sexarbeiterinnen-Szene unterwegs. Seit 20 Jahren sind ihre Mitarbeiterinnen und sie selbst mindestens zweimal in der Woche auf der Straße und in Bordellen, um Aufklärungsarbeit zu leisten.
Zwar muss jede Sexarbeiterin für die grüne Kontrollkarte mindestens zwei Gespräche mit einer Sozialarbeiterin in der Ambulanz führen, doch würde durch die zusätzlichen Gespräche am Arbeitsplatz der Frauen eine Vertrauensbasis wachsen. Bei solchen Gesprächen habe man auch erfahren, dass "viele Frauen gar nicht wussten, wo sie durch das neue Gesetz legal stehen dürfen", sagt Jarolim.
Prater als Verbotszone?
Um das Gesetz zu begleiten und regelmäßig zu evaluieren, setzte die Stadt Wien eine Steuerungsgruppe aus VertreterInnen der Politik, Polizei, NGOs und den betroffenen Bezirken ein. In ein paar Monaten wird sich diese vor allem mit einer Frage beschäftigen müssen: Was passiert, wenn der Campus der Wirtschaftsuniversität neben der Messe Wien fertiggestellt ist? Ab dem kommenden Jahr werden wahrscheinlich Bereiche, die nun in unmittelbarer Nähe zum Straßenstrich liegen, zu Wohngebieten umgewandelt.
Das würde bedeuten, dass auch im Prater eine Verbotszone für Sexarbeit entsteht. "Derzeit ist der Ausgang der Debatte allerdings noch vollkommen ergebnisoffen", sagt Stefanie Grubich aus dem Büro von Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ). Die Entscheidung, ob und wie der Straßenstrich dann weiterbestehen wird, werde erst getroffen, wenn die Umwidmungen durchgeführt werden.
Bis dahin haben die Streetworkerinnen und Sexarbeiterinnen allerdings andere Sorgen: Der erste Sommer in der neuen Erlaubniszone werde laut Jarolim erst zeigen, ob der Platz im Prater ausreicht oder weitere Zonen vonnöten sein werden. (Bianca Blei, derStandard.at, 3.5.2012)