Die Rolle der Piaf ließ sie zur Spritze greifen, den lebendigen Umgang der Wiener mit dem Tod mag sie: Maria Happel.

Foto: Regine Hendrich
Foto: STANDARD/Regine Hendrich

Was Musik von Schauspiel unterscheidet und Messen mit Theater gemein haben, erzählte sie Renate Graber.

 

STANDARD: Ist das Kreuz an Ihrer Halskette von Ihrem Mäzen?

Maria Happel: Ja.

STANDARD: Er hat Ihnen wirklich zu jeder Premiere etwas geschenkt?

Happel: Ja, am Anfang einen Blumenstrauß oder ein nettes Parfum, dann ein kleines Schwarzes für privat, oder, 1992, einen Riesen-Geschenkkorb für die Lulu, meine erste Arbeit mit Matthias Hartmann. Und er hat mir auch mein Brautkleid gemacht. Oder eben anderes geschenkt, wie dieses Kreuz.

STANDARD: Herrlich. Wer war er?

Happel: Modedesigner Michael Schulz.

STANDARD: Ich möchte gern übers Theater und die Wiener und ihre Einstellung zum Tod reden, die mögen Sie. Waren Sie schon in der Kapuzinergruft?

Happel: Natürlich, sogar im Kostüm der Maria Theresia.

STANDARD: Die spielten Sie 2007 im Musical "Die Habsburgischen"; davor waren Sie noch nicht dort.

Happel: Stimmt. Damals fuhr ich zu Werbezwecken mit einem Fiaker bis zur Kapuzinergruft und ging hinunter. Dort war eine Reisegruppe, die Reiseleiterin sagte: "Da kommt Ihre Majestät heute höchstpersönlich", und die Leute haben sich verneigt. Die dachten, ich sei im Preis inbegriffen.

STANDARD: Schräg, da unten, oder?

Happel: (lacht) Schon irre - wenn man wieder raus kann.

STANDARD: Sie werden ja dereinst im Sarg um die Burg getragen?

Happel: Dazu müsste ich Ehrenmitglied sein. Ich war 1993 bei Fred Liewehrs Ehrenbegräbnis. Da wartet unten das Publikum auf den Sarg, um den Schauspieler um die Burg zu begleiten, auf dem Dach spielt das Orchester in alle vier Himmelsrichtungen. Sehr ergreifend. Folgendes Gespräch zweier Wiener wird kolportiert: "Jetzt kummt der Soarg." "Na, des is a Urne." "Na, do hot er ja goar nix mehr davon." Wien ist die Nekropole Österreichs. Klingt dumm, aber: In Wien ist der Umgang mit dem Tod lebendiger; der Tod gehört viel selbstverständlicher zum Leben. Übrigens, dass ich als Deutsche Maria Theresia spielen durfte, war ein kleiner Ritterschlag.

STANDARD: Und ein Fortschritt. Als Sie Peymann 1991 nach Wien holte, warf Sie ein Taxler aus dem Wagen. Er war gegen deutsche Schauspieler am Burgtheater.

Happel: Das war nach einer Probe. Der Taxifahrer fragte mich, woher ich komme, ich antwortete: aus Köln, wo ich zuletzt gespielt hatte. Da stieg er auf die Bremse und sagte: "Bitte können Sie aussteigen? Ich unterstütze nicht, dass das Nationaltheater in deutscher Hand ist." Da stand ich dann.

STANDARD: Verglichen mit der Ära Peymann ist die Burg heute fad.

Happel: Es gibt nicht mehr so viele Skandale wie unter Peymann. Da passierte immer was, blieb vor der Uraufführung von Peter Handkes neuem Stück sogar die Regieanweisung im Taxi liegen.

STANDARD: Für "Die Stunde, da wir nichts von einander wussten", Ihre erste Rolle an der Burg.

Happel: Ein Stück ohne Text. Sehr schwierig für mich, denn damals reisten ja noch Busse aus meinem Dorf im Spessart an. (lacht) Und dann das am Wiener Burgtheater: "Die Stunde, da wir nichts von einander wussten". Da fiel ich bei den Fans auf "Start" zurück. Aber manche kommen immer noch.

STANDARD: Sie gelten als eine, die Komödie wie Tragödie beherrscht. Weil Sie sich nicht festlegen lassen?

Happel: Tragödie und Komödie gehören zusammen, jeder Darsteller trägt die lachende und weinende Maske in sich. Es kann nie wirklich lustig sein, wenn es für mich auf der Bühne nicht gerade tragisch ist. Nur, wenn ich eine große Not habe, können die unten lachen. Nur wenn ich auf der Bühne ein großes Problem habe, ob in der Komödie oder Tragödie, ist es für den Zuschauer interessant. Sonst ist Theater fad.

STANDARD: Sie haben sehr früh und immer wieder die Piaf gespielt...

Happel: Gottseidank wusste ich nicht, was auf mich zukommt. Weil Menschen zu spielen, die es wirklich gegeben hat, ist etwas anderes als die Medea, die man sich ganz aus der Phantasie holen kann. Jeder weiß, wie die Piaf war. Und da ist auch der Leidensdruck der Figur, den kann man nicht wie das Kostüm in der Garderobe abgeben, den schleppt man mit. Damals war das für mich extrem, ich habe mich so sehr mit Piaf identifiziert. In den Anfängen musste ich mir Cortison-Spritzen für die Stimme geben lassen, um auftreten zu können. Zwischendurch konnte ich die Piaf nicht mehr leiden, mochte auch ihre Lieder nicht mehr. Mit den Jahren änderte sich das, ich durfte die Piaf zum Glück immer wieder spielen.

STANDARD: Sie haben sich von der Piaf emanzipiert.

Happel: Später hatte ich selbst schon mehr Erfahrungen. Wobei ich nicht sicher bin, ob man als Schauspieler Dinge erlebt haben muss, um die Figur gut zu spielen, oder ob es stärker ist, wenn man sie sich nur vorstellt.

STANDARD: Was glauben Sie?

Happel: Die Phantasie kann stärker sein, man kann in der Phantasie weitergehen, weil man die Grenze der Erfahrung nicht kennt und einhält. Ich selbst wusste schnell, dass ich so ein Leben wie die Piaf ganz sicher nicht führen will. Das hat mich viel Disziplin gelehrt.

STANDARD: Der Ruhm ist ein Hund.

Happel: Und heute geht es noch viel schneller, nehmen Sie Stars wie Amy Winehouse, sie war erst 27, als sie starb. Die brennen, und das Feuer, das aus ihnen ausbricht, ist nicht mehr zu löschen.

STANDARD: Sie brennen doch auch.

Happel: Ja. Aber ich habe immer einen Feuerlöscher dabei.

STANDARD: Ihre Familie, Mann und zwei Töchter, halten Sie wahrscheinlich auch auf dem Boden.

Happel: Genau: zwei Feuerlöscher. Natürlich brauchte ich in meinen Anfängerjahren nicht so diszipliniert zu sein, da musste ich auch nicht um halb sieben aufstehen und Schulbrote schmieren. Aber wenn man beides will, Beruf und Familie, muss man sich dementsprechend benehmen. Schauspieler müssen diszipliniert sein, der Beruf verleitet zum absoluten Loslassen und Höhenrausch.

STANDARD: Waren Sie oft höhenberauscht?

Happel: Nicht höhenberauscht, aber es wurde schwierig, die Erwartungshaltungen zu erfüllen. Plötzlich zitterten mir die Beine vor dem Mikrophon, plötzlich bekam ich Ängste, die ich nie hatte. Doch in dem Moment, in dem ich wusste, dass ich ein Baby erwarte, war ich geheilt. Es war ähnlich wie mit den Spritzen für die Stimme vor dem Piaf-Auftritt: Ich hatte dann einen Theaterarzt, der sich weigerte, mir Injektionen zu geben. Er hat mir stattdessen in der Kantine ein warmes Bier bestellt und eingefüllt. Ich habe noch heiser gefleht: "Ich kann nicht, ich kann nicht", aber er hat mich auf die Bühne geschubst. Ich habe nie wieder eine Spritze bekommen.

STANDARD: Stichwort Angst: Je ausgebuht worden?

Happel: Oh ja. Ich habe in Bremen sogar eine Uraufführung erlebt, nach der niemand geklatscht hat. Der Vorhang fiel, wir stellten uns auf zum Verneigen, aber es passierte nichts. Irgendwann kuckten wir raus, und meine Kollegin, eine Wienerin, sagte: "Na servus. Der Applaus, das Brot des Künstlers? Heut simma verhungert." Der Vorhang blieb zu, die Zuschauer sind einfach gegangen. Wir haben das Stück nicht lange gespielt.

STANDARD: Können Sie eigentlich noch immer nicht Wienerisch?

Happel: Das kann man nie. Ich würde davon abraten. Von Wienerisch und Berlinerisch sollte man als Nicht-Da-Geborener die Finger lassen, man schafft es nicht. Man kann es bestenfalls karikieren.

STANDARD: Ich könnte gern Burgtheaterdeutsch.

Happel: Wer kann das noch?

STANDARD: Sie sind seit 21 Jahren in Wien, waren kurz bei Peymann in Berlin. Sie sagen, Sie seien reumütig zurückgekehrt. Ist das nicht ein Klischee: Wien, das Mekka für Schauspieler?

Happel: In Wien Schauspieler zu sein, das genießt man schon. Bei Publikumsgesprächen freuen sich die Leute, dass sich der Künstler, der gerade noch da oben gestanden ist, Zeit nimmt, in Berlin gibt es dieses Oben nicht. Die sind alle per Du mit dir, haben alle Theaterwissenschaften studiert und wissen, "wie det besser jeht. Sach mal, wieso spielstn da det Klischee?" Diesen respektvollen Umgang mit unserer Zunft, den gibt es nur auf der Insel Österreich. Das ist so. Jeder Schauspieler kann mal drum rum schwimmen, aber kommt wirklich gern wieder auf diese Insel zurück.

STANDARD: Verleitet aber sicher zu Bequemlichkeit?

Happel: Die Gefahr gibt es, man muss sich immer wieder überprüfen. Ich spiele auch auswärts, um diese Wachheit zu behalten.

STANDARD: Sie wollten eigentlich Kirchenmusik studieren. Weil Sie seit Ihrem 7. Lebensjahr jeden Tag die Kirchenorgel gespielt haben?

Happel: Ja, weil ich damit groß wurde. Es schien so vorgezeichnet. Ich habe auf diesem Orgelbock viel Zeit verbracht. Da habe ich immer von der Empore runter geguckt, auf diese Inszenierungen im Altarraum. Die haben es lustiger, die dürfen Monologe halten, dachte ich, und da oben auf der Empore sieht einen keiner. Aufs Weltliche übertragen: Theater.

STANDARD: Drei Mark je Stunde haben Sie mit Orgelspielen verdient, mit 18 das erste Auto gekauft...

Happel: ... einen Opel Kadett.

STANDARD: Galt hier in Wien als richtiges Prolo-Auto.

Happel: Ja, das war's auch. Und über Bremen hinaus bin ich damit nie gekommen.

STANDARD: Sängerin Kasarova meinte vor kurzem, Musik könne nicht lügen. Sie sagen, in Ihrem nächsten Leben würde Musik die Hauptrolle spielen. Deswegen?

Happel: Es stimmt, Noten stehen da, die müssen gesungen oder gespielt werden. Aber bei unseren Worten sind wir frei, wo wir die ansetzen. Wenn ich einen Text spreche, ist es schön, lege ich aber Musik drunter, schießen mir die Tränen in die Augen.

STANDARD: Musik manipuliert.

Happel: Und sie schafft eine andere Emotionsgrundlage als Text.

STANDARD: Elfriede Jelinek spielt Orgel, wie Sie. Ihre Texte mögen Sie sehr, wegen ihrer Melodie?

Happel: Ja, die Sprache Jelineks empfinde ich wie Musik; die gibt schon eine Emotion vor oder löst sie aus. Ich liebe es, mit ihren Texten zu probieren, es ist schwierig, aber auch sehr reizvoll. Ich höre den Text dann auch innerlich, lerne ihn wie Musik. Bei Thomas Bernhard ist es übrigens auch so, er schrieb seine Texte wie Partituren, auch vom Schriftbild her. So etwas interessiert mich, und das war auch Peymann-Schule: Peymann hat jedes Komma, jeden Punkt, jedes Satzzeichen untersucht und gesagt: "Das steht hier nicht zufällig."

STANDARD: Das heißt, Sie lernen einen Jelinek-Text wie ein Lied?

Happel: In etwa. Ich lerne ja am besten in diesem Zwischenzustand vor dem Einschlafen und sofort nach dem Aufwachen. Ich bin eine schnelle Text-Lernerin, mein Mann (Burgschauspieler Dirk Nocker; Anm.) hasst mich dafür. Wobei er sich die Texte dafür länger merkt als ich. Wichtige Sachen merke ich mir allerdings auch, ich kann zum Beispiel den ersten Satz aus unserem Latein-Lehrbuch noch immer.

STANDARD: Patria nostra olim provincia Romana erat.

Happel: Incolae Romae non indigenae sed advaenae ex Persia. (lacht sehr)

STANDARD: Wir sollten Eintritt verlangen. Aber Ihre ersten wichtigen Sätze im Theater wissen Sie schon auch noch, oder?

Happel: Das war, bevor ich in Bremen engagiert wurde, da musste ich in Faust einspringen, im Chor. Ich musste sagen: "Der Puder ist so wie der Rock für alt' und graue Weibchen. Drum sitz ich nackt auf meinem Bock und zeig ein derbes Leibchen." Die drei Sätze waren bedeutend: Sie haben mich in Bremen behalten.

STANDARD: In Jelineks "Raststätte" 1994 im Akademietheater sind Sie auf der Bühne neben Kirsten Dene am Klo gesessen ...

Happel: (lacht) Natürlich, aber der Skandal ist leider ausgeblieben.

STANDARD: Musik lügt nicht, Theater also schon?

Happel: Sicher, Schauspiel ist nur Lüge, wir arbeiten nur mit der Illusion und mit der Behauptung und wünschen uns, dass wir das, was wir gerade tun, so verlogen tun, dass die da unten es gar nicht merken und sagen: "Es ist jetzt so." Natüüürlich sind wir immer auf der Suche nach der Waaahrhaftigkeit, aber das ist ja eigentlich nur die allergrößte Kunst der Verstellung. Möglicherweise kommen wir auch ganz nah dran an die Wahrhaftigkeit - aber trotzdem spielen wir.

STANDARD: Sie haben so gern den Puck gespielt. Das hat aber eher nicht mit Wahrhaftigkeit zu tun, oder?

Happel: Ich habe diese Rolle wahnsinnig geliebt, weil ich sie vor vielen Jahren in Bremen sehr versemmelt habe. Das fing schon damit an, dass Hippolyta, Oberon und Puck aussahen wie Tarzan, Jane und Cheeta. Ich trug eine Ganzkörperperücke und musste drei Stunden in der Maske sitzen, um mir Einzelteile wie beim Planet der Affen kleben zu lassen. Ich selbst war gar nicht mehr vorhanden. Dabei war ich doch so verliebt in den Regisseur; als Affe hatte ich aber keine Chance. Ich habe das Stück damals zwar noch gar nicht begriffen, mich aber wagemutig in die Rolle geschmissen. Beim zweiten Mal habe ich ihn sehr dankbar gespielt, den Puck, und ganz pur.

STANDARD: Und Schauspieler leben auf der Bühne ihre verbotenen Wünsche aus, wie Sie sagen?

Happel: Naja, was wären wir ohne Theater? Ich würde Orgelspielen und alles, was in mir ist, in irgendwelche Pfeifen reinjagen. Natürlich, ein Schauspieler hat den größten Fächer, kann alles sein. Ich kann böse sein, ich kann gut sein, ich kann Täter sein oder Opfer, gerecht oder ungerecht. Ich kann sogar ein Gott sein, wenn ich will, auf der Bühne.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Happel: Darum, dass man sich am Ende in den Spiegel schauen und sagen kann: "Okay, ich habe versucht, es ganz gut hinzukriegen." (Renate Graber, DER STANDARD, 28.4./29.4.2012)