Dem Noch-Abgeordneten Ferdinand Maier ist eine Leidensfähigkeit zu bestätigen, zu der nur selbsternannte Märtyrer der Meinungsfreiheit imstande sind. Bewundernswert, wie er jahrelang die Qual ertragen konnte, Mitglied des ÖVP-Parlamentsklubs zu sein, statt schon vor sechs Jahren mit der Arbeit an seiner Abschiedsrede zu beginnen, als er Karlheinz Kopfs Vorgänger im Klub, Wilhelm Molterer, in einem Brief, der glücklich seinen Weg in die Öffentlichkeit fand, attestieren musste, Parteidisziplin nach dem Motto "Hände falten, Gosch'n halten" sicherzustellen. Damals steigerte sich sein Rumoren allerdings nicht bis zum Pegel jenes kleinbürgerlichen Heldentums, mit dem er den Klubchef nun als jenen - wohlwollend ausgedrückt - etwas seltsamen Kauz entlarvte, als den ihn die Öffentlichkeit spätestens wahrnimmt, seit er seinen Klubgenossen Werner Amon auf parteischädigende Art vor der staatsanwaltlichen Nemesis zu schützen versuchte. Damals hatte Maier auch noch nicht vor, ohnehin aus dem Nationalrat auszuscheiden.

Dass er diesmal für sein Aufbegehren gegen den parteiamtlichen Maulkorb nicht den Weg über einen Brief, sondern über eine Ö1-Diskussion gewählt hat, zeugt nicht nur von einem bedauerlichen Verfall der Briefkultur, sondern auch vom Unterschied zwischen Rundfunk und Parlament. Im Radio freut man sich über jeden, der in freimütiger Rede schwelgt, weil für die Folgen höchstens der Schwätzer aufzukommen hat. In einem Parlamentsklub weniger, denn wenn da jeder käme und wenn das freie Mandat so weit ausartete wie im vorliegenden Fall - dass ein Mandatar in einem Ausschuss gegen die Linie seiner Partei stimmt -, ist die Gefahr eines Flohzirkus nicht von der Hand zu weisen.

Keine reine Kopf-Marotte

Zu einer solchen Betrachtungsweise neigen jedenfalls Klubobleute, was aber nichts Neues ist und keine Marotte von Karlheinz Kopf allein. Wenn Maier aus gegebenem Anlass nun als Held parlamentarischer Meinungsfreiheit gefeiert wird, ist das einerseits stark übertrieben und andererseits ein Missverständnis. Kein Abgeordneter keiner Partei kann seinem Rededrang im Plenum nach Belieben frönen, und nicht auf die Rednerliste gesetzt zu werden - aus mehr oder weniger gerechtfertigten Gründen - gehört zum Arbeitsleid im Sitzungsalltag.

Das andere ist der Anlass. Inhaltlich übt Maier Kritik an den Milliarden, die für Infrastrukturprojekte der Bahn ausgegeben werden sollen. Im ÖVP-Klub konnte er sich damit aber nicht durchsetzen, was er auf die Feigheit seiner Abgeordnetenkollegen zurückführt. Ob man dieser Charakterstudie folgen will oder nicht, ob Maier recht hat oder seine Kollegen nicht nur feig, sondern auch zu beschränkt sind, ihm zu folgen - das eigentliche Problem liegt nicht in persönlichen Befindlichkeiten, sondern darin, dass nicht das Parlament, in das angeblich alles vom Volk ausgehende Recht einfließt, bestimmt, wie regiert werden soll, sondern die Regierung ihren Abgeordnetenklubs diktiert, wie abzustimmen ist.

Deren Obleute sind der verlängerte Arm der Regierung, sie haben Gesetzesvorlagen, die fast nie vom Nationalrat, so gut wie immer von der Regierung ausgehen, durchzupeitschen. Kopf tat an Maier nur, was das System von ihm verlangt, ob mehr oder weniger gut, ist im Hinblick auf die Freiheit der Einzelrede ziemlich irrelevant. Als die Regierung unter dem läppischen Vorwand des Sparens mit der Absicht daherkam, den Nationalrat zu verkleinern, obwohl die Zahl der zu vertretenden Wahlberechtigten steigt, war von parlamentarischer Freiheitsliebe eines Ferry Maier nichts zu hören. Umso gespannter darf man auf seine Abschiedsrede sein. (Günter Traxler, DER STANDARD, 27.4.2012)