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Richard G. Lugar (80), einer der wenigen gemäßigten Republikaner im US-Senat.

Foto: AP/Applewhite

Urgestein und Auslaufmodell: Mit akkurat gescheiteltem, weißem Haarschopf und seinem altväterlichen Lächeln lässt Richard G. Lugar an den Senior-Chef eines Familienunternehmens denken. Bedächtig wählt er seine Worte, fast ein bisschen langweilig für die amerikanische Politik mit ihrem schrillen Grundton.

Kein republikanischer Senator hat mehr Dienstjahre auf dem Buckel als Lugar, der seit 1977 in der kleineren der beiden Parlamentskammern sitzt. Kaum einer gibt sich solche Mühe, an Kompromissen mit den Demokraten zu feilen. Letzteres droht ihm nun zum Verhängnis zu werden, dem 80-Jährigen aus Indianapolis.

Angesichts immer tieferer Gräben zwischen den Parteien wirkt Lugar wie ein Relikt einer Epoche, als ein Deal noch nicht einem Schimpfwort gleichkam. Für die Rebellen der Tea Party sind solche Pragmatiker Teil jener Washingtoner Clique, die das Land überhaupt erst ins Dilemma stürzte. Ihre Art, Königswege zu finden, habe die USA an den Rand des Ruins getrieben, meint Richard Mourdock, Schatzmeister des Bundesstaates Indiana. "Die Zeit fürs Kollegiale liegt hinter uns. Es ist Zeit für die Konfrontation."

Mourdock, auf nationaler Bühne nahezu unbekannt, will Lugar in die Rente zwingen. Mithilfe der Tea Party möchte er am 8. Mai die Vorwahl der Republikaner in Indiana gewinnen, was im Erfolgsfall bedeutet, dass Lugar beim Kongressvotum im November entweder gar nicht oder nur als Unabhängiger antreten kann.

In den Umfragen liegt der Herausforderer gleichauf mit dem Amtsinhaber. Konservative Interessengruppen wie der Club for Growth oder die Waffenlobby National Rifle Association rühren die Trommel, um Lugar vom Sockel zu stoßen.

Es geht um ein Signal mit landesweitem Effekt, letztlich auch um die Handlungsfähigkeit des Parlaments. So wie es die Gründerväter konzipierten, funktioniert das System von "checks and balances" nur, wenn die Parteien in der Mitte einen Nenner finden. Eine ans Dogmatische grenzende Fraktionsdisziplin allerdings hat zur Lähmung geführt - auf die Spitze getrieben nach der Wahl Barack Obamas 2008 und dem Triumph der Konservativen bei der Kongresswahl 2010.

Bisweilen klingt Lugar wie ein Rufer in der Wüste: "Wenn Sie etwas durchbringen wollen, dann müssen Sie mit Mitgliedern der anderen Partei reden."

Vom Denken in Lagerkategorien hat der Sohn eines Farmers nie viel gehalten. So stimmte er mit den Demokraten für die staatliche Finanzierung der Stammzellenforschung und strengere Autoabgasnormen. Als die Republikaner 2010 die Ratifizierung eines neuen Start-Abrüstungsvertrags mit Russland von zusätzlichen Milliarden für die US-Atomwaffen abhängig machten, war es Lugar, der an die Vernunft appellierte: Das Papier liege im nationalen Interesse und dürfe nicht zum Streitobjekt werden.

Sein Meisterstück gelang Lugar, als 1991 die Sowjetunion zerfiel und sich der Westen um die Sicherheit ihres Atomarsenals sorgte. Im Duett mit dem Demokraten Sam Nunn setzte er ein Programm durch, nach dem Russland, die Ukraine, Weißrussland und Kasachstan dafür bezahlt wurden, dass sie Atomsprengköpfe zerstörten und Interkontinentalraketen verschrotteten. Als sich der Erfolg des Ansatzes offenbarte, wurden die Senatoren für den Friedensnobelpreis nominiert. (Frank Herrmann aus Washington /DER STANDARD, 27.4.2012)