Kennengelernt haben sich Klaus Rózsa und Robert Newald beim Protest-Event "Zürich küsst Wien" 1986. Ein Sonderwaggon aus Zürich mit 80 "Autonomen" war damals schon im Schweizer Buchs an der Grenze zu Vorarlberg abgehängt worden, Rózsa sollte als "Terrorist" verhaftet werden.

Foto: Robert Newald

Doch Rózsa hatte an dem Zuganreisetag einen lukrativen Job für eine internationale Fotoagentur und flog erst danach zur Protestaktion nach Wien (Bild). Seit damals verbindet ihn eine Freundschaft mit Newald. Photoblog "1986: Zürich küsste Wien".

Foto: Klaus Rózsa

Im Wien Museum: Newald, Moderatorin Martina Nussbaumer, Rózsa. Photoblog: "Besetzt! Fotografen am Podium".

Foto: Helene Degenhart

Gegen Ende des Gesprächsabends "Züri brännt, Wien pennt" im Wien Museum wird der sonst so ausgeglichen wirkende Schweizer Fotograf Klaus Rózsa dann doch emotional: "Es ist unglaublich, dass der grüne Polizeichef von Zürich heute in der Zeitung mit solchen Worten zitiert wird: Es werde am 1. Mai eine Zero-Tolerance-Politik geben, jeder Ansatz eines Protests werde im Keim erstickt." Für Rózsa, jahrzehntelanger Aktivist in der Anti-AKW-Bewegung und Begleiter der Autonomen- und Hausbesetzerszene, ist klar, dass "die Schweiz immer noch ein Polizeistaat ist".

Im Vergleich dazu sei Wien viel subtiler, erklärt der zweite Gesprächsgast des Abends: Robert Newald, der Besetzungen und Demos seit den 1970ern fotografiert und seit Anfang 1989 für das STANDARD-Medienhaus tätig ist. Hier setze man weniger "auf Gewalt als auf Überwachung, Denunzierung und Gängelung. Die Akten des Schweizer Staatsschutzes über Rózsa sei allerdings höher als ein Tisch." In Wien habe man eben Anfang der 1980er schneller und aktiver auf Forderungen nach autonomen Räumen reagiert, sind sich die zwei Fotografen, die eine mehr als 25-jährige Freundschaft verbindet, einig. 

Ein paar Scheiben gegen 30 Millionen Franken

"In Zürich wurde in drei Wochen bei zahlreichen Demos ein Sachschaden von 30 Millionen Franken angerichtet", berichtet Rózsa über jene Protestbewegung ab dem 30. Mai 1980, auf die sich zu dieser Zeit sogar Gruppen aus Berlin berufen hätten. "Und das alles, weil der Stadtrat nicht auf die Forderung nach einem autonomen Jugendzentrum eingehen wollte."

Dass es dann doch zu einer Schlüsselübergabe für das Zentrum kam, sei von der Stadt nicht freiwillig gewesen, vermutet Rózsa: "Sie wurde von Zürich Tourismus, einigen Banken und Großkonzernen dazu gezwungen. Es sollte ein anderes Bild dargestellt werden. Denn in einem ist die Schweiz wirklich gut - in Public Relations."

"Hinter den Vorhang blicken"

Als die Zürcher Bewegung am 1. Mai 1981 auch auf Wien überschwappte, habe es genau eine Demo-Nacht mit ein paar zerschlagenen Scheiben gegeben, erinnert sich Newald. Kurz darauf seien das Werkstätten- und Kulturhaus (WUK) und das Autonome Kultur- und Kommunikationszentrum GAsserGAsse (GAGA) geschaffen worden. Die Stadt habe damals gut reagiert, so Newald. Parallel dazu habe es schon immer eine "Umarmungspolitik, bei der es an Konfrontationsflächen" mangelte, gegeben.

Was Newald auch wichtig ist: "Es gibt nicht die autonome Szene, das sind viele verschiedene Gruppen." Und genau diese Vielfalt will er auch weiterhin abbilden, ohne sich wirklich als Teil der Szene zu betrachten: "Ich wollte immer schon hinter den Vorhang blicken. Denn seit etwa 15 Jahren gibt es einen Trend in Politik und Wirtschaft: Man versucht, bestimmte Bilder zu erzeugen und andere bewusst zu verhindern. Der Versuch der Gängelung."

Abgesperrte Zonen

Ein Beispiel sei die Besetzung eines Hauses in der Wiener Lindengasse im vergangenen Herbst. Mehrere Straßenzüge waren damals um 6 Uhr früh abgesperrt worden. Der Zugang war Passanten nicht erlaubt. Newald durfte trotz Presseausweises nicht an den Absperrgittern vorbei, erst als Begleiter eines dort Wohnenden konnte er sich hineinschummeln und die Räumung dokumentieren.

Schlimmer noch einmal die Situation in Zürich, so Rózsa: "Mit der sogenannten Wegweisung kann die Polizei - ohne richterlichen Bescheid - ein Verbot aussprechen, dass eine Person 24 Stunden ihr Quartier nicht betreten darf." Wie willkürlich dies eingesetzt werde, zeige ein Fall von vor zwei Jahren: "Am 1. Mai 2010 sind schon vor Beginn einer Demonstration 540 Personen verhaftet worden."

Filme unter Festgenommenen verteilt

Auch in Österreich sei es immer wieder zu Polizeiübergriffen gekommen, erinnert sich Newald. Etwa bei der ersten großen Anti-Opernball-Demonstration 1987, die ursprünglich als Anti-Wackersdorf-Kundgebung am Rande des Opernballs geplant war. Der Fotograf wurde festgenommen und verbrachte eine Nacht im "Häf'n". "Ich habe die Filme unter den Festgenommenen verteilt, damit sie sicher sind. Kurz darauf waren die Bilder der brutalen Polizeigewalt im 'Profil' und lagen im Parlament auf." Es habe zur damaligen Zeit einen Einsatzleiter gegeben, bei dem man im Vorhinein schon vermuten konnte, dass die Situation eskalieren würde. 

Für Rózsa, der während seiner Fotoeinsätze unzählige Male verhaftet wurde, hatte 1989 ein Einsatz sogar im Spital geendet. Während Protesten gegen die massive Wohnungsnot in Zürich war im Garten eines Restaurants Folgendes passiert: "Ein Kellner hatte vier, fünf Polizisten zugerufen, dass sie jetzt nach Hause gehen könnten. Daraufhin begannen die Polizisten, auf ihn einzuprügeln. Nach einer Zeit bewarfen die Gäste die Polizisten mit Gläsern und Besteck. Dann kam die Verstärkung und verprügelte die Gäste. Ich fotografierte das Ganze, als ich plötzlich einen Knüppelschlag verspürte."

Erwachen im Spital

Er sei daraufhin in das Restaurant geflüchtet, die Polizei habe ihn jedoch dort gestellt, erst im im Spital wachte er wieder auf. Allerdings konnte Rózsa durch einen Zufall die Bilder retten: "Ein Polizist, der mich verprügelt hatte, knallte die Kamera mehrmals auf den Tisch. So setzte aber der Filmrückspulmechanismus ein, so dass der Film gerettet wurde." Weil der Polizist das nicht bemerkte, konnte der Fotograf den Film einer Krankenschwester geben, die ihn zur Agentur AP (Associated Press) weiterleitete, in deren Auftrag Rózsa die Demos fotografiert hatte. Tags darauf gingen die Bilder um die Welt - mit dem Hinweis, dass der Fotograf wegen Polizeigewalt im Spital liege.

In der heutigen Hausbesetzerszene ortet Rózsa eine "weniger politische Haltung denn pure Notwendigkeit für Studenten und Freischaffende, einen leistbaren Wohnplatz zu finden. Wer kann sich denn heute noch eine Wohnung kaufen? In der Schweiz ist das kein Thema für die meisten, und die Mieten sind horrend." In Österreich sieht Newald das Hauptproblem in der Frage, wie Wohnraum auch weiterhin relativ günstig angeboten werden kann. Die Mittel für die Wohnbauförderung würden immer weniger und teilweise zweckentfremdet verwendet.

Massenfestnahmen, Einkesselungen, Tränengas

Worüber Rózsa aber am meisten erzürnt ist, sind die weiterhin gebräuchlichen Einsatzmittel bei Demonstrationen: "Massenfestnahmen, Einkesselungen, Tränengas und vor allem Gummigeschoße: Das würde überall anders einen Aufschrei erzeugen, aber nicht in der Schweiz. Die Stadt Zürich hat 22 Personen Entschädigungen bezahlen müssen, weil ihnen die Augen ausgeschossen wurden - einige haben gar nicht geklagt."

Genau diese Bilder über die Schweiz würde sich der Fotograf in den internationalen Medien wünschen. "Aber danke für diesen Abend, denn so was wie hier wäre in Zürich nicht möglich", sagt Rózsa dann zum Schluss und meint damit die derzeit laufende Ausstellung "Besetzt!" und die Abendveranstaltung im Wien Museum. (Martin Obermayr, derStandard.at, 27.4.2012)