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STANDARD: Bakterielle Infekte wurden in den vergangenen Jahren häufig sehr schnell mit Antibiotika bekämpft. Viele Keime sind gegen die Wirkstoffe resistent geworden. Wie brisant ist dieses Thema?

Graninger: Sehr brisant, denn viele Keime, die wir früher mit Antibiotika in den Griff bekommen haben, sprechen auf diese Therapie nicht mehr an. Das ist vor allem im Spitalsbereich ein wirkliches Problem. Neu ist, dass die durch Antibiotika ausgelöste Colitis, die sich als Durchfall manifestiert, auch ein Thema in der Behandlung wird.

STANDARD: Inwiefern?

Graninger: Konkret geht es um Clostridium difficile, einen Darmkeim. Jene Antibiotika, die früher noch gegen Clostridium difficile wirkten, konkret Metronidazol und Vancomycin, versagen in ihrer Wirkung. Wer etwa wegen einer Lungenentzündung im Spital behandelt wird, ist ohnedies geschwächt, eine Colitis kann da auch lebensgefährlich werden.

STANDARD: Wo liegt die Gefahr?

Graninger: Clostridium difficile kann eine Dickdarmentzündung verursachen. Im schlimmsten Fall wird der Darm undicht, die Bakterien wandern aus und befallen andere Organe. An einer Sepsis stirbt man.

STANDARD: Welche Antibiotika sind in dieser Hinsicht besonders gefährlich?

Graninger: Einige, vor allem aber die sehr häufig verwendeten Antibiotika wie Amoxiclav oder Ciprofloxacin. In einer normalen Umgebung ist die Vielfalt der verschiedenen Bakterien ja gegeben. Sie halten sich gegenseitig in Schach. Nicht so im Spital.

STANDARD: Wie ist also das Procedere bei Clostridium difficile?

Graninger: Es gibt vier Möglichkeiten. Man setzt das Antibiotikum ab und wartet, bis die Darmflora sich selbst regeneriert. Zweitens: Wir verabreichen Metronidazol über zehn bis 14 Tage und warten, ob es wirkt. Drittens: Wenn nicht, sind wir bisher auf Vancomycin umgestiegen. Doch gerade bei diesem Medikament ist die Gefahr einer Resistenzenbildung besonders hoch. Ein neues Medikament namens Fidaxomicin springt hier in die Bresche, wirkt spezifisch gegen Clostridium difficile. In den USA wird es bereits eingesetzt und zeigt extrem gute Heilungsraten. Viertens: Eine Stuhltransplantation ist der letzte Ausweg.

STANDARD: Was genau versteht man darunter?

Graninger: Biotherapie ist die korrektere und weniger ungustiös klingende Bezeichnung. Im eigenen Stuhl sind vor einer Behandlung ja alle Darmkeime enthalten. Wenn die Darmflora durch die Behandlung zerstört ist, dann wirkt Eigenstuhl wie ein Medikament. Die Erfolge damit sind fabelhaft. Ich denke, dass es so wie Blutbanken in Zukunft bald auch Stuhlbanken geben wird. Der Patient gibt vor der Behandlung eine Stuhlprobe ab, sie wird eingefroren, und bei Auftreten einer sogenannten Antibiotika-Colitis wieder verabreicht - als Klistier. Das ist sogar kostengünstig.

STANDARD: Wird es schon gemacht?

Graninger: Bisher haben wir in sehr schweren Fällen Stuhl von Verwandten genommen, das halten die Patienten psychisch besser aus.

STANDARD: Und was ist mit den vielen probiotischen Produkten?

Graninger: Probiotika sind ein vollkommener Blödsinn, mit dem Unsummen verdient werden. Wie soll ein Stamm von Lactobazillen hunderte unterschiedliche Darmkeime ersetzen. Nur Ahnungslose können auf so ein Versprechen reinfallen.

STANDARD: Wie sollen sich Menschen verhalten, die auf Antibiotika angewiesen sind - etwa bei Zahnbehandlungen?

Graninger: Sie sollten nachfragen und nach Möglichkeit Antibiotika einnehmen, die die anaeroben Bakterien der Darmflora möglichst wenig beeinflussen. Da scheiden zum Beispiel Clindamycin und Amoxiclav schon einmal aus. Clostridium difficile kommt auch nach Zahnbehandlungen vor, allerdings geben die Zahnärzte diese Antibiotika nur sehr kurz, um genau das zu vermeiden. Wichtig ist, den Einsatz von Vancomycin zu reduzieren. Es gibt Länder, in denen dieses Medikament durch den massiven Einsatz vollkommen wirkungslos ist. In Österreich ist das noch nicht der Fall. (Karin Pollack, DER STANDARD, 30.4./1.5.2012)