Wilhelm Lilge: "Der Minister hat sein Ohr beim Volk, ihm fehlte ein Plan B."

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STANDARD: Die Dopingskandale im ÖSV 2002 und 2006, Humanplasma-Affäre, Dopingfälle Matschiner und Kohl, der Skandal der Anti-Doping-Agentur Nada. Wundert es Sie, wenn die Öffentlichkeit beim Thema Doping abstumpft?

Wilhelm Lilge: Das liegt vor allem daran, dass Leute wie Stefan Matschiner oder Bernhard Kohl suggerieren wollen, Doping gehöre zum Sportlerleben wie das Frühstücken. Das ist Schwachsinn, eine Rechtfertigungsstrategie für eigenes Fehlverhalten. Man übersieht dabei, dass Sport gesellschaftlich immer wichtiger wird. Der Spitzensport kann nicht losgelöst werden vom Breiten- oder Gesundheitssport. Das eine bedingt das andere. Spitzensportler haben eine enorme Verantwortung. Sie sollen positive Idole darstellen - und nicht positiv getestete.

STANDARD: Wenn man sich ehemalige Doper in Österreich ansieht, hat man das Gefühl, vielen geht es nicht schlecht am Tag danach oder im Leben danach.

Lilge: Doping gehört sozial geächtet, das ist es hierzulande nicht. Der Umgang mit Dopern in Österreich ist in Mitteleuropa ein Spezifikum. Es wäre in Skandinavien oder Deutschland undenkbar, dass ehemalige Doper von großen Medien als Kommentatoren geholt werden. Der ehemalige Sprinter Andreas Berger, ein Hardcore-Doping-Pionier, wäre gerne Nada-Geschäftsführer geworden, weil er meinte, da braucht es jemanden, der sich wirklich auskennt. Aber nach dieser Logik müsste man zum Beispiel einen Josef Fritzl zum Justizminister machen.

STANDARD: Sie als ausgewiesener Dopinggegner hatten sich auch als Nada-Geschäftsführer beworben. Wieso wurden Sie es nicht?

Lilge: Damals war der Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen, dass es eine politische Entscheidung war, dass man Andreas Schwab genommen hat als Marionettenfigur. Schwab war die politisch opportune Lösung und als ehemaliger Sporthilfe-Chef schon eingebunden ins Sportbeziehungsgeflecht. Mir war klar, wie meine Chancen stehen, als BSO-Präsident Peter Wittmann nach dem Hearing von Schwab gegangen ist und bei meinem Hearing gar nicht mehr dabei war.

STANDARD: Sind Sie jetzt froh, dass Sie es nicht geworden sind?

Lilge: Eigentlich ja. Ich hab mich in erster Linie immer als Trainer gesehen. Mir war klar, ich kann Läufer zumindest in Europa an die Spitze bekommen, wenn Talent da ist und ordentlich gearbeitet wird - und wenn die anderen auch mit sauberen Mitteln arbeiten. Darauf wollte ich mich verlassen können. Das war in Österreich aber nicht möglich, deshalb hab ich meinen Mund aufgerissen und meine Meinung kundgetan. Wenn man mich genommen hätte, natürlich hätte ich es gemacht.

STANDARD: Hätten Sie bei der Nada nicht mehr erreichen können denn als Trainer?

Lilge: Ich bin seit 28 Jahren Trainer, komme auf circa 300 Medaillen bei österreichischen Meisterschaften. Und ich war immer überzeugt, dass man auch ohne verbotene Mittel zu Olympischen Spielen kommen kann. Jetzt hat es einer meiner Athleten, Andreas Vojta, ja wirklich geschafft, er läuft heuer über 1500 Meter in London. Das ist mir viel wert.

STANDARD: Hat das 2008 in Kraft getretene Anti-Doping-Gesetz in Österreich viel verändert?

Lilge: Das war schon ein Qualitätssprung, dieses von gesetzgebender Seite klare Bekenntnis zur Dopingbekämpfung. Die BSO und mächtige Verbände hatten gebremst. Erstens wollen sie Erfolge, zweitens wollen sie keine positiven Proben, weil sie dann weniger Erfolge feiern und weniger Förderungen kriegen. Im Leichtathletik-Verband haben wir eine ganz klare Linie, das wird halt öffentlich nicht gewürdigt. Wenn ein Verband aktiv und massiv gegen Doping auftritt, dann ist er eher der Dodel der Nation. Dann sagen viele: Wieso seid ihr so dumm, lasst euch halt nicht erwischen.

STANDARD: Sind Weltklasseleistungen ohne Doping möglich?

Lilge: Es gibt auf dem Planeten ungefähr sieben Milliarden Menschen, da sind biologische Ausreißer dabei, zum Beispiel werden nur wenige 2,20 Meter groß. Und dann gibt es welche, die genetisch bedingt mehr Sauerstoff aufnehmen können als andere. Wenn die entdeckt werden und sinnvoll trainieren, dann können sie an die Spitze kommen - mit sauberen Mitteln. Man muss schon zunächst bereit sein, für den Sport zu leben, damit man vielleicht vom Sport leben kann.

STANDARD: Was bedeutet die Absetzung der Nada-Rechtskommission für den Kampf gegen Doping?

Lilge: Jetzt kriechen die Ratten wieder aus den Löchern. Drei Monate vor Olympia befinden wir uns in einer fatalen Situation. Nicht nur Österreich steht vor diesem Dilemma: Gehen wir gegen Doping vor, berauben wir uns damit nicht unserer eigenen Medaillenchancen? Bei uns kommt dazu, dass wir in dieser heiklen Situation eine handlungsunfähige Nada haben. Bei einer positiven Probe könnte kein Verfahren eingeleitet werden, weil es keine Rechtskommission gibt. Das dürfte halt leider auch ausgenützt werden. Es gehen schlimme Gerüchte um, dass praktisch systematisches Doping mit öffentlichen Geldern sowie einigen ausgewählten Trainern und Athleten im Gange ist. Diese Info wird mir von mehreren Seiten zugetragen. Aber ich hab das nicht verifizieren können, deshalb bin ich vorsichtig.

STANDARD: Was passiert mit Verfahren, die derzeit bei der Nada anhängig sind?

Lilge: Die können von einer neuen Rechtskommission nicht einfach unterbrechungsfrei weitergeführt werden. Man muss zurück an den Start. Was sich der Chef dieser Kommission, Gernot Schaar, über die Jahre an Fachwissen und Erfahrung angeeignet hat, holt kein anderer binnen Wochen auf. Es gibt Fälle, die seit Jahren behandelt werden, tausende Seiten an Akten umfassen. Es wird schwierig, diese Verfahren gerecht zu beenden. Eher ist eine rückwirkende Generalamnestie zu befürchten. Das wäre schon bitter und die tragische Konsequenz aus der Nada-Umgestaltung.

STANDARD: War die Absetzung der Rechtskommission ein Fehler?

Lilge: Da hätte man abwiegen müssen. Haben die saudummen, sexistischen Witze der Herren in der Rechtskommission etwas zu tun mit der Schuldhaftigkeit von Athleten? Es ging im speziellen Fall um einen Athleten, der erstinstanzlich schon verurteilt war wegen Mitbesitzes einer Blutzentrifuge, also Hardcore-Doping vom Feinsten. Er stand mit dem Rücken zur Wand, mit ihm der Skiverband. Dann taucht ein Teiltranskript der Verhandlung beim medialen Hauptpartner des Skiverbands auf. Der Skandal ist da, und das Ziel wurde erreicht. Das ist schade, weil die Nada sauber gearbeitet hat, ein positives Image hatte. Jetzt stehen die Dopingfahnder als Buhmänner der Nation da, das öffentliche Meinungsbild ist gekippt. Das Katastrophenmanagement war noch katastrophaler als die Katastrophe.

STANDARD: Welche Rolle spielt Sportminister Norbert Darabos?

Lilge: Der Minister hat natürlich sein Ohr beim Volk. Und Funktionärsbashing im Sport ist sehr populär. Die Öffentlichkeit wollte eine schnelle Lösung, dem Minister fehlte ein Plan B. Bis man die Nada wieder dort hat, wo sie hingehört, wird es dauern. Sie sollte ein glaubhafter Partner des ehrlichen Sports sein, das wird ein ganz schwieriges Unterfangen.

STANDARD: Hat die Nada auch im Fall Dinko Jukic sauber gearbeitet?

Lilge: Dieser Fall zeigte nur die Defizite der Bestimmungen, wie eine Dopingkontrolle durchzuführen ist. Die sind lückenhaft. Ein höchst erfahrener Kontrollor, eine höchst erfahrene Ärztin und der Nada-Kontrollchef haben es nicht geschafft, die Kontrolle so durchzuführen, dass sie nicht nachher von gefinkelten Juristen angegriffen werden konnte. Obwohl sie alles gemacht haben, wie es gehört. Darauf hätte man deutlicher hinweisen müssen. Der Gesetzgeber hätte hier etwas zu reparieren.

STANDARD: Warum verweigert Jukic eine Kontrolle? Glauben Sie, er hatte Angst vor ihr?

Lilge: Das wäre, ich sag das bewusst im Konjunktiv, für mich eine mögliche Erklärung. Der Herr Jukic hat für mich nie schlüssig erklären können, warum er diesen Test nicht absolviert hat. Als Sportler mit reinem Gewissen bin ich doch froh über jede Kontrolle. Als nichtalkoholisierter Autofahrer werde ich schließlich auch kein Problem damit haben, ins Röhrl zu blasen.

STANDARD: Oft hört man, dass die Zeitpunkte von Dopingtests in Österreich skurril sind.

Lilge: Da kommen wir zum schönen Begriff der intelligenten Kontrollen. Das heißt, dass man die richtigen Sportler zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort kontrolliert. Dazu brauch ich fachliches Know-how und den Willen. Effizienz kann manchmal Bösartigkeit bedeuten. Die Nada unter Schwab sah sich als Exekutivorgan des Anti-Doping-Gesetzes, da saßen aber keine Anti-Doping-Kämpfer mit Herzblut. Die Polizei auf der Autobahn steht mit ihrem Radarkastl am Ende von Bergabstrecken. Und jeder weiß, bergauf wird kaum ein Radar stehen. Auch Doper kalkulieren so, aber das ist durchschaubar.

STANDARD: Ist die Situation im Ausland besser?

Lilge: Sicher nicht überall. Dass es in Spanien ein nächtliches Dopingkontrollverbot gibt, ist vollkommen absurd. Das zeigt auch die Scheinheiligkeit der internationalen Sportverbände. Man dürfte spanische Sportler gar nicht bei Olympischen Spielen antreten lassen. Wir wissen ja von Herrn Kohl, dass bestimmte Mittel, am Abend verabreicht, in der Früh nicht mehr nachweisbar sind. Aber verallgemeinern darf man nicht. Oft heißt es auch, es würde in Jamaika keine Kontrollen geben. Dabei wird dort mindestens so kontrolliert wie bei uns. Ich persönlich beschränke mich auf den Anti-Doping-Kampf im eigenen Land. Ich hab keinen Einfluss darauf, was in Kasachstan oder in Afrika passiert.

STANDARD: Wie kann und soll es mit der Nada weitergehen?

Lilge: Das Krisenmanagement muss viel besser werden. Man sollte jedenfalls als Geschäftsführer jemanden nehmen, der aus dem Sport kommt und sich auskennt, nicht wieder jemanden, den man lange einschulen muss.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, sich noch einmal zu bewerben?

Lilge: Bis Olympia werde ich daran keinen Gedanken verschwenden. Ich bin Trainer. Was nachher ist, wird man sehen. (Fritz Neumann, DER STANDARD, 28./29.4.2012)