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Der blinde Chen Guangcheng trägt eine schwarze Sonnenbrille. Sie ist zu seinem Markenzeichen geworden, hat den Bürgerrechtler weltbekannt gemacht. Er sitzt vor zugezogenen Gardinen und trägt eine dunkle Joggingjacke. Drei Forderungen richtet er mit ruhiger Stimme über das Video an Premier Wen Jiabao: "Verehrter Premier Wen. Es war für mich sehr schwer zu entkommen. Ich möchte, dass Sie meinen Fall rückhaltlos aufklären. Schützen Sie meine Familie vor Rache. Und: Machen Sie der Korruption ein Ende."
Der 41-jährige Chen ist einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten Chinas. Die Nachricht, dass er seinen Peinigern heimlich entwischte, machte am Freitag im chinesischen Internet blitzschnell die Runde. In den vergangenen 19 Monaten war er von Schlägern im öffentlichen Auftrag in seinem Dorf Dongshigu nahe der Stadt Linyi in Shandong gefangen gehalten und immer wieder verprügelt worden.
Blind ist Chen, der sich selbst juristisch weiterbildete, seit seiner Kindheit. Der Aktivist wird auch "Barfuß-Anwalt für die Bauern" genannt. Verfolgt wird er seit mehr als 20 Jahren. Zuerst, weil er Behinderten half, ihre sozialen Rechte einzufordern. Dann, weil er zehntausende Bauersfrauen in seiner Heimatprovinz Shandong beriet, wie sie sich gegen die Ein-Kind-Familien-Politik wehren können. Er organisierte Proteste, Eingaben und Klagen gegen Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen.
"Unruhestifter" Chen wurde im September 2006 von einem Provinzgericht wegen Aufstachelung zur Zusammenrottung, Verkehrsbehinderung und Sachbeschädigung zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Als er im September 2010 wieder nach Hause durfte, rächten sich die lokalen Behörden weiter. Sie ordneten totalen Hausarrest für ihn an, nahmen seine Frau Yuan Weijing, seine sechs Jahre alte Tochter und seine Mutter in Sippenhaft und terrorisierten die Familie.
Chinas Regierung wurde aus dem In- und Ausland und von westlichen Regierungen zum Eingreifen gegen die gesetzlosen Zustände aufgefordert, redete sich jedoch auf unklare lokale Vorfälle aus. Mehrfach versuchten Diplomaten und Journalisten, den Aktivisten zu besuchen. Für seinen Einsatz erhielt Chen Guangcheng 2007 den Menschenrechtspreis "Ramon Magsaysay Award". Der Künstler Ai Weiwei sagte über ihn: "Er hat sein Augenlicht in der Kindheit verloren, aber er ist ein helles Licht, das im Dunkeln leuchtet." (Johnny Erling /DER STANDARD, 28.4.2012)