Erneut will die Wirtschaftskammer, über ihre agile OÖ-Landesorganisation, "mit mehr Effizienz einen leistbaren Sozialstaat sichern." Sie anerkennt "ein gut funktionierendes soziales Netz" als "wesentlichen Standortfaktor", hält aber bei 21,5 Milliarden Arbeitgeberbeiträgen in die Sozialkassen "Effiziensteigerungen dringend geboten".

Wer könnte solchem Befund grundsätzlich widersprechen, auch wenn man neben "mehr Effizienz" mehr Effektivität (Ergebnisorientierung) und viel mehr Fairness für nötig hält? Selbst wenn man jenseits des in Österreich von niemand Maßgeblichem vertretenen Laissez-faire Darwinismus eine "Wohlfahrtsgesellschaft" mit Welfare Mix oder "Wohlfahrtspluralismus" statt dem herkömmlich paternalistischen "Sozialstaat" bevorzugte?

Selbst wenn man nicht meint, dass "ein Großteil der Sozialausgaben verpufft" und nicht alle WKOÖ-Rechnungen voll nachvollzieht, so ist doch fast unerklärbar, weshalb Schweden bei kaufkraftbereinigt gleichen Sozialausgaben pro Kopf etwa Männern 12,4 (!) mehr "gesunde Lebensjahre" beschert als Österreich - oder warum Sozialschutz in Kaufkraftparitäten hier um 31 Prozent, für Alterssicherung gar 43 Prozent teurer als in EU-27 und "Österreich bei Sozialausgaben im Spitzenfeld" liegen sollte.

Die WKOÖ verlangt daher, "die Abgabenquote muss gesenkt werden ..., mittelfristig auf den EU-27 Schnitt", das wären 39,6 statt 43,7 Prozent. Natürlich sind weit mehr als 10 Prozent Vergeudung im System und so könnten 40 Prozent Steuern und Abgaben für ein exzellentes, nachhaltiges Wohlfahrtswesen durchaus reichen. Denn hohe Gesundheits-, Bildungs- und Sozialausgaben sind per se kein Qualitätsnachweis - oft das Gegenteil, etwa bei Unfalls-, Spitals-, Gefängnis-, Psychopharmaka-, Krankenstands-, Frühpensions-, Invaliditäts- oder Arbeitslosigkeitskosten. Und unseren Schulen.

Lebt man in der Schweiz mit 29 Prozent Abgaben schlechter als in Belgien und Italien mit 44 Prozent - oder wird man einfach viel besser, bürgernäher und demokratischer regiert?

Die geforderten "tiefgreifenden Reformen des Sozialsystems" sind daher tatsächlich unverzichtbar, aber (mangels umfassendem Sozialpartnerkonsens) leider sehr unwahrscheinlich. Und sicher gibt es zur Abgabenquote bessere Value for Money-Checks von Wettbewerbsfähigkeit und Wohlfahrt, von optimalem Mix aus Sach- und Geldleistungen, Transfers und Services (und Eigenvorsorge durch gesunden Lebensstil und familiäre Hilfe).

Doch die überlebensnötige Umkehr von ausgabenorientierter Einnahmenpolitik zu einnahmenorientierter Ausgabenpolitik braucht breitest mögliche und klügste Konsenssuche und Vorschläge der besten Köpfe. Sie müsste beiden Seiten und der Allgemeinheit Vorteile bringen, statt Nullsummen-Spielen oder billigen Einigungen zu Lasten Dritter.

Die Regierung könnte von Allparteienkonsenszwang (wie in der Schweiz), von Expertenunterstützung (wenn schon nicht ein Expertenkabinett wie in Italien) und einer bestfunktionierenden Sozialpartnerschaft (wie seinerzeit hierzulande) profitieren. Dazu gibt es immer wieder Anläufe, aber noch keine Durchbrüche.

Beste Sozialpartnerschaft auf der Höhe der Zeit könnte - es mag erstaunen das von mir zu hören - an der ehernen Achse Blecha & Khol im Seniorenrat Maß nehmen. Sie könnte über ideologische Gräben hinweg Maximal- statt Mindestkonsens etablieren, das Gemeinwohl trotz legitimer Einzelinteressen berücksichtigen, intelligent, maßvoll, offen und lernfähig agieren, wie zuletzt die Seniorenvertreter. (Bernd Marin, DER STANDARD, 28./29.4.2011)