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Die Arbeit hoch? Ein chinesischer Bergarbeiter zerrt einen mit Kohle beladenen Wagen über die Schienen.

Foto: APA/EPA/LU DI

Die Linke liebt die Arbeit. Wenn sie in den letzten Jahren die Rechte in etwas übertreffen wollte, dann in ihrer Hingabe an die menschliche Schinderei. Und so tönte es auch letztes Jahr zum 1. Mai in Wien aus den sozialdemokratischen und sozialistischen Postillen: "Die Arbeit hoch!" Dieser elende Slogan steht ganz in der Tradition von Georg Büchners Aufruf "Friede den Hütten, Krieg den Palästen", der 1834 noch eine gewisse Berechtigung gehabt haben mag. Als Motto unzähliger linker Kampagnen ist er aber längst zu einer Sklavenparole mutiert. Ginge es um das gute Leben für alle, hätte sie schon längst durch eine Kriegserklärung an die Hütten und die Forderung "Paläste für alle" abgelöst werden müssen.

Doch schon früh wurde die gleichmäßige Verteilung des Elends, nicht seine Abschaffung zum Ziel der Arbeiterbewegung. Die Vordenker der Sozialdemokratie fürchteten wohl nur eines noch mehr als den Vorwurf des " nationalen Nihilismus": als Verächter der Arbeit ins Visier des politischen Gegners zu geraten. Schon August Bebel verkündete Ende des 19. Jahrhunderts: " Die alberne Behauptung, die Sozialisten wollten die Arbeit abschaffen, ist ein Widersinn sondergleichen. Nichtarbeiter, Faulenzer gibt es nur in der bürgerlichen Welt." Von Karl Marx wollte man da schon nichts mehr wissen. Der hatte bereits als junger Mann konstatiert: "Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet ist er nicht zu Haus."

Doch schon immer gab es dissidente Strömungen, welche die Lobhudelei auf das Schuften und Rackern nicht mitmachen wollten. Bereits Marx sprach von einem "Reich der Freiheit", das jenseits der durch "Not und äußere Zweckmäßigkeit" bestimmten Arbeit liege. Sein Schwiegersohn Paul Lafargue schrieb eine Widerlegung des "Rechts auf Arbeit", für das nichtsdestotrotz auch heute noch am Wiener Rathausplatz gestritten wird. Friedrich Nietzsche diagnostizierte als Beobachter der brutalen Durchsetzung der Fabrikarbeit am Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Aphorismus Die Lobredner der Arbeit, dass "eine solche Arbeit die beste Polizei" sei, da sie "jedem im Zaume hält und die Entwicklung der Vernunft, der Begehrlichkeit, des Unabhängigkeitsgelüstes kräftig zu hindern versteht". 1891 schrieb Oscar Wilde in seinem empfehlenswerten Essay Der Sozialismus und die Seele des Menschen: Es sei "geistig und moralisch genommen schimpflich für den Menschen, irgendetwas zu tun, was ihm keine Freude macht, und viele Formen der Arbeit sind ganz freudlose Beschäftigungen". Und, so der Dandy weiter: "Muße, nicht Arbeit, ist das Ziel des Menschen."

Während die Stalinisten den Produktivitätswahn auf seine massenmörderische Spitze trieben, hatte der russische Avantgardist Kasimir Malewitsch schon 1921 erklärt: "Die Arbeit muss verflucht werden, wie es auch die Legenden vom Paradies überliefern, die Faulheit aber sollte das sein, wonach der Mensch zu streben hat." Im 20. Jahrhundert waren es besonders Autoren der Kritischen Theorie die sich gegen die Anbetung der Arbeit wandten: Theodor W. Adorno kritisierte in seiner Minima Moralia ein Verhalten, das "am Modell der Produktion als Selbstzweck gebildet ist". Jene die Gesellschaft durchziehende Vorstellung vom "fessellosen Tun, dem ununterbrochenen Zeugen, der pausbäckigen Unersättlichkeit" war ihm ein Gräuel.

Oft genug verweigerten die Arbeiter und Arbeiterinnen den produktivistischen Vordenkern der Arbeiterbewegung mit ihrem Ideal der " schaffenden Sozialisten" die Gefolgschaft. Die spanischen Proletarier brachten während des Bürgerkriegs in den 1930ern mit ihrer selbstbewussten Verweigerungshaltung die anarchistischen Funktionäre der Gewerkschaft CNT zur Verzweiflung, die in ihren Aufrufen zur Arbeitsdisziplin ihren bolschewistischen und stalinistischen Konkurrenten kaum nachstanden und im revolutionären Barcelona die Akkordarbeit wieder einführten.

Die von den französischen Situationisten um Guy Debord aufgegriffene Parole "Ne travaillez jamais" ("Arbeitet niemals") war in den 1960er- und 1970er-Jahren ein geflügeltes Wort, insbesondere in den subproletarischen Vierteln der französischen Hauptstadt. Es steht ganz in der Tradition jener Pariser Arbeiter, die in der linken " Volksfrontregierung" in den 1930er-Jahren keine Chance zur schwunghaften Steigerung der Produktivität sahen, sondern eine Möglichkeit, erstmals im Leben bezahlten Urlaub zu machen und an die Atlantikküste zu fahren. Die fanatischsten Lobpreiser der Arbeit waren schon immer zugleich die schlimmsten Antisemiten: von Martin Luther, dem Protagonisten des protestantischen Arbeitsethos und Autor des Pamphlets Von den Juden und ihren Lügen, über den Industriellen Henry Ford, den Autor des Machwerks Der internationale Jude, für den es "nichts Abscheulicheres" gab "als ein müßiges Leben", bis zu Hitler, der in Mein Kampf "den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird" proklamierte.

Keineswegs nur im deutschsprachigen Raum, dort aber besonders, existiert eine lange Tradition der Entgegensetzung von jüdischer " Nicht-Arbeit" und den je nationalen Arbeitstugenden. Im völkischen Nazistaat bekommt die Arbeit zentrale Bedeutung. Was die staatszentrierte und kollektivistische Arbeiterbewegung vorgezeichnet hat, wird bei den Nazis zur Vollendung gebracht: Die Arbeit wird als Dienst an der Gemeinschaft und als Opfer für die Allgemeinheit inszeniert. Das hat Folgen für die Entwicklung in den Nachfolgegesellschaften des Nazismus, die sich nicht nur in diesem Punkt von den liberal-kapitalistischen Gesellschaften angelsächsischer Prägung unterscheiden: "Wenn in Amerika von pursuit of happiness gesprochen wird, heißt es in Deutschland immer nur: Arbeit macht frei", bringt der Kulturkritiker Gerhard Scheit den zentralen Unterschied auf den Punkt.

Nachdem die großdeutschen Proletarier zu "Soldaten der Arbeit" mutiert waren und sich weitestgehend in die Volksgemeinschaft - und das heißt auch: das Vernichtungswerk - integriert hatten, machte man sich nach 1945 daran, die Resultate des Nationalsozialismus in der demokratisierten Volksgemeinschaft sozialpartnerschaftlich zu verwalten. War vor der faschistischen Versöhnung von Kapital und Arbeit der proletarische Arbeitskult noch auf die Verklärung der Schufterei als Mittel zum Lebenserwerb gerichtet, gerät nun das Sinnstiftende und Disziplinierende der Arbeit zum zentralen Grund des Arbeitsfetischismus. Daran ändert dann auch eine vermeintlich "neoliberale" Flexibilisierung der Arbeitswelt nichts mehr. Ganz im Gegenteil: Sie zwingt die zuvor von Staats wegen und gemeinschaftlich organisierte Verpflichtung zur Produktivität nun auch noch jedem Individuum als "Eigenverantwortung" auf. Durch die neuen Formen von "Mitbestimmung" und die vielgelobten " flachen Hierarchien" in der Arbeitswelt wird der Produktivitätswahn im schlechten Sinne demokratisiert und individualisiert, nicht infrage gestellt.

Diese Flexibilisierung und schlechte Individualisierung macht sich selbst noch in der Kritik an der Arbeitssucht bemerkbar. Beispielsweise, wenn sich Menschen in weitgehender Absehung von den gesellschaftlichen Reproduktionsbedingungen jenseits der Erwerbsarbeit einfach als " Glückliche Arbeitslose" titulieren, wie vor einigen Jahren eine von Berlin ausgehende Initiative, die über die Landesgrenzen hinweg große Beachtung im Feuilleton gefunden hat. So sympathisch ihre Kritik an den vorherrschenden Vorstellungen von Produktivität und Arbeit sein mag, so problematisch ist ihre Lobpreisung afrikanischer Großfamilien als alternative Form der Reproduktion und ihr Lob einer vermeintlichen " sozialen Überlegenheit des armen Südens". Der schlechten Individualisierung wird hier wiederum mit einem rückwärtsgewandten Kollektivismus begegnet. Doch nicht ein vormodernes Stammesbewusstsein, in dem Arbeits- und Freizeit gar nicht voneinander geschieden sind, kann das Ziel sein. Vielmehr geht es um einen gesellschaftlich selbstreflexiven Müßiggang, der nicht hinter die Errungenschaften der Moderne wie die Herauslösung aus repressiven Familienstrukturen und die Möglichkeit zu freiwilliger Vereinzelung zurückfällt.

Die Absurdität der heutigen Gesellschaft drückt sich darin aus, dass allerorten beklagt wird, dass ihr die Arbeit ausgeht. Zu skandalisieren wäre aber doch, dass in der bestehenden Gesellschaft solch eine wunderbare Entwicklung zu keiner Befreiung führt. Solange das Glück des Menschen an den Nachweis seiner Verwertbarkeit gebunden bleibt, kann man kein "glücklicher Arbeitsloser" werden. Anstatt im Bestehenden nach vermeintlichen Nischen zu suchen, ginge es darum, mit aller Leidenschaft für jenes ganz andere zu streiten, das es den Individuen ermöglichen müsste, sich in Ausschweifung und Genuss, geistiger und körperlicher Hingabe, Kunst und intellektueller Selbstreflexion als Gattungswesen überhaupt erst zu konstituieren.

Es ginge darum, sich die Welt im wie auch immer widersprüchlichen Einklang mit den Mitmenschen und mit der größtmöglichen Bequemlichkeit anzueignen. Nicht zum Zwecke der Konstitution repressiver Kollektive oder gar einer Rückkehr zu irgendeiner vermeintlich "natürlichen", vorzivilisatorischen Lebensweise, sondern zur Befreiung der Individuen aus jenen gesellschaftlichen Zwängen, die angesichts des gesellschaftlichen Reichtums vollkommen anachronistisch sind. (Stephan Grigat/DER STANDARD, 28./29.4. 2012)