Welcome to the Hackney Pirates! In London Borough of Hackney, einem der ärmsten Stadtteile, entern Neun- bis Zwölfjährige nach der Schule den Lernort, den Catriona Maclay gegründet hat.

Foto: Hackney Pirates

"Wir können nicht einfach nur das Gehirn füttern. Wenn das Kind Angst hat, sich unsicher oder ausgeschlossen fühlt, werden wir scheitern."

Foto: Hackney Pirates

STANDARD: Sie sind eine von 32 "ZukunftsmacherInnen" aus zwölf Nationen, " die ihrer Zeit voraus sind" und vom ÖVP-Wirtschaftsbund zu dessen " Visionsprozess Create32" eingeladen wurden. Dabei soll Österreich für das Jahr 2032 "neu gedacht" werden. Ihr Zukunftsprojekt sind die "Hackney Pirates" in London. Wer sind diese Piraten?

Maclay: Die "Hackney Pirates" sind ein pädagogisches Projekt im Bezirk Hackney im Nordosten Londons. Seit 2010 arbeiten wir jeden Nachmittag mit Kindern zwischen neun und zwölf Jahren. Das ist eine wirklich kritische Phase, in der viele Schüler straucheln. Wir wollen diese Kinder in schulischen Belangen unterstützen und ihre Lese- und Schreibkenntnisse verbessern - wir haben in Großbritannien ein riesiges Problem mit Kindern, die die Schule verlassen, ohne gut genug lesen und schreiben zu können -, aber wir wollen auch ihre Kreativität entwickeln - die Fähigkeit, Probleme zu lösen und neue Ideen zu entwickeln.

STANDARD: Wie kamen Sie auf diese Idee?

Maclay: Ich war von 2006 bis 2008 Lehrerin in einer sehr herausfordernden Schule in London, in der viele Kinder riesige Probleme zu bewältigen hatten. Es gibt dort ein hohes Maß an schulischem Versagen und/oder Armut. "Meine" Schule hatte damals, als ich begann, die zweitschlechtesten Ergebnisse in London. Es war also ein guter Ort, um herauszufinden, vor welch großen Herausforderungen unser Bildungssystem steht. Was mich am meisten deprimierte, war die große Zahl der Kinder, die lernen wollten, aber so weit hinten waren, dass wir einfach nicht genügend Zeit finden konnten, um ihnen während des Unterrichts helfen zu können. Wir alle wussten, wenn sie intensive Unterstützung erhalten würden, dann würden sie große Fortschritte machen.

STANDARD: Nach welchen Prinzipien arbeiten die Hackney Pirates?

Maclay: Individuelle Aufmerksamkeit von einem Erwachsenen ist eine der wichtigsten Lernerfahrungen in der Welt, das muss nicht von einem Lehrer kommen. Wenn wir Bildung nur professionellen Lehrern überlassen, verzichten wir auf große Ressourcen. Wir veröffentlichen unsere Projektergebnisse, das ist ein echter Motivationsfaktor für Kinder. Und wir machen unsere Aktivitäten in einer unkonventionellen Lernumgebung mit Geheimgängen in der Wand, einem Theatersaal, einer asymmetrischen Bibliothek. Wir versuchen mit den Kindern wieder eine positive Beziehung zum Lernen zu entwickeln und ihnen zu zeigen, dass Lernen nicht nur mit der Schule assoziiert wird. Das ist auch der Grund, warum wir uns Piraten nennen - jeder will ein Pirat sein! Der Spaß und die andere Identität macht es zu einem Ort, wo Menschen sein wollen.

STANDARD: Wer sind die freiwilligen Helfer?

Maclay: In Hackney gibt es große Armut, es ist aber auch eine Drehscheibe für viele junge Kreative, wo wir sahen, dass wir sie engagieren könnten, um Kindern beim Lernen zu helfen. Viele unserer Freiwilligen kommen aus dieser Gruppe und bringen eine unglaubliche Palette an Fähigkeiten ein - Schriftsteller, Theaterautoren, Designer, Musiker, Studenten, Pensionisten, Unternehmensberater, Arbeitssuchende.

STANDARD: Was tun Sie konkret?

Maclay: Alle sechs Wochen beginnen wir ein neues Projekt. Aktuell machen wir ein Musikvideo. Wir haben bereits ein Buch veröffentlicht, eine Website über unsere Wohngegend und Ansichtskarten über unsere Region gestaltet.

STANDARD: Wie finanzieren Sie es?

Maclay: Als Anschubfinanzierung hatten wir einen Mix aus Geldern von Unternehmen, gemeinnützigen Geldgebern und privaten Spenden. Wir vermieten unsere besonderen Räume für Meetings oder Schulungen. Sie helfen auch Erwachsenen beim Arbeiten! Es gibt den Online-T-Shirt-Shop, wir planen Partnerschaften mit Firmen, deren Mitarbeiter bei uns mitmachen und davon profitieren können. Wir erwarten, dass Schulen einen Beitrag leisten, wenn sie Schüler an uns verweisen.

STANDARD: Als Lehrerin kennen Sie das Schulsystem. Was ist das Wichtigste für eine gute Schule?

Maclay: Das ganze Kind unterrichten. Wir können nicht einfach nur das Gehirn füttern. Wenn das Kind Angst hat, sich unsicher oder ausgeschlossen fühlt, werden wir scheitern. In Großbritannien sind unsere Schulen sehr fokussiert auf das Erreichen von Zielen und Prüfungen. Gleichzeitig ersticken sie die Kreativität und Innovation der besten Pädagogen und unterstützen die schwächeren Schüler nicht. Wir müssen die Schule als öffentliche Institution neu beleben und nicht nur als Ort sehen, an dem Kinder Prüfungen bestehen müssen.

STANDARD: Wie sehen Sie die Rolle der Lehrer von morgen?

Maclay: Lehrer spielen schon jetzt eine größere Rolle im Leben der Kinder, wir müssen sie unterstützen, das richtig zu machen. In benachteiligten Gebieten sind Schulen möglicherweise die letzte positive Möglichkeit, diese Kinder auf dem Weg ins Erwachsenenleben zu unterstützen. Wir müssen viel in diese Schulen investieren, dass sie ihren Job gut machen können: persönliche und schulische Unterstützung für die Kinder. Die Rolle der Lehrer wird sich stärker darauf fokussieren müssen, gute Lernumgebungen zu schaffen. Der Lehrplan wurde in so viele verschiedene Fächer zerteilt, dass die Kinder nicht die Fähigkeiten entwickeln können, die sie später brauchen - Ausdauer, Teamwork, Vertrauen, Problemlösungskompetenz. Wir brauchen mehr projektbasiertes Lernen, wie wir es bei den Hackney Pirates machen. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 28./29.4.2012)