Foto: Hauswirth

STANDARD: Ein Cover der Schweizer "Weltwoche" mit dem Titel "Die Roma kommen" und dem Bild eines kleinen Buben mit Pistole in der Hand sorgte kürzlich für Aufregung. Haben Sie es gesehen?

Harri Stojka: Ja. Die Geschichte war ein Wahnsinn. Unglaublich hetzerisch. So etwas habe ich in den letzten 20 Jahren nirgends gesehen. Ich habe mich gewundert, warum sie nicht gleich Zigeuner statt Roma geschrieben haben. Ich hoffe, es wird Anklage wegen Verhetzung gegen das Blatt erhoben.

STANDARD: Sie mögen das Wort Zigeuner nicht.

Stojka: Mein Vater (Musiker und Autor Mongo Stojka, Anm.) hat Auschwitz-Birkenau überlebt. Das Z in der Tätowierung auf seinem Arm steht für Zigeuner. Ich hasse das Wort. Es hat mir meine Jugend versaut. Ich habe im Herbst eine Plakataktion gestartet, mit der wir im Mai weitermachen. Da lassen sich Leute mit einem Schild fotografieren, auf dem steht: "Ich bin gegen das Wort Zigeuner". Es schleicht sich wieder ein - wie in Zigeunerschnitzel. Roma, die das okay finden, verstehe ich nicht.

STANDARD: War der "Weltwoche"-Artikel Auslöser für diese Aktion?

Stojka: Nein. Ich wollte sie schon vor 20 Jahren starten. Aber mir hat damals noch keiner zugehört. Jetzt hören mir Leute einfach mehr zu, weil ich relativ bekannt geworden bin. Sie erklären sich solidarisch oder sind gegen mich. Aber ich muss sagen: 99 Prozent sind für mich und gegen das Wort, weil es rassistisch ist und faschistoid.

STANDARD: Ihre jüngste CD heißt "Gitancoeur d'Europe". Die Wörter Gitanes oder Gypsys sind okay?

Stojka: Mit diesen Worten bin ich nicht beschimpft worden. Mir geht es um meine Erfahrung mit dem Wort Zigeuner und um das Z in der Tätowierung von meinem Papa. Ich kenne amerikanische Roma, aber mir hat noch keiner gesagt, dass das Wort Gypsy für ihn ein Schimpfwort ist.

STANDARD: 1995 wurde der Mordanschlag auf vier Roma in Oberwart verübt. Haben Sie das Gefühl, dass sich das Klima seither verbessert hat?

Stojka: Ich glaube, dass Franz Fuchs ein Einzeltäter war, auf jeden Fall. Damals war die Stimmung so, dass es eine riesige Lichterkette gab, eine Demonstration auf dem Heldenplatz, ein Solidaritätskonzert in der Stadthalle. Ich weiß nicht, ob es heute wieder so wäre, muss ich ehrlich sagen.

STANDARD: Was verunsichert Sie?

Stojka: Wahrscheinlich negative Zuschriften, die ich im Herbst auf meine Aktion bekommen habe. Aber ich bin mir nicht ganz sicher. Seit viele Roma aus ehemaligen Ostblockländern zu uns gekommen sind, haben manche wieder mehr Skepsis gegenüber Roma.

STANDARD: In Graz ist ein Bettelverbot mit dem Argument erlassen worden, bettelnde Roma seien organisierte Verbrecherbanden - obwohl die Polizei dafür nie Beweise fand.

Stojka: Ich frage mich: Warum fällt ein bettelnder Roma mehr ins Auge als ein österreichischer Bettler? Es ist ja immer dasselbe. Wenn ein Roma etwas anstellt, waren es alle Roma. Wenn ein Österreicher etwas macht, hat er das allein gemacht. Dieses Vorurteil hat nicht aufgehört. Das sind rechte Tendenzen. Wenn ein Roma Scheiße baut, sollen sie ihn verurteilen wie jeden anderen EU-Bürger auch, aber nicht eine ganze Volksgruppe verdammen.

STANDARD: Das Projekt Phonart thematisiert auch Minderheitensprachen. Sprechen Sie Romanes?

Stojka: Nicht fließend. Ich verstehe mehr, als ich sprechen kann. Mein Vater wollte nicht, dass wir Romanes reden, damit wir nicht als Roma geoutet werden.

STANDARD: Wie geht es Ihnen mit sozialromantischen Klischees?

Stojka: Ich hab mich nie zu einem Plastik-Lagerfeuer im Musikantenstadl hingestellt. Auch mein Vater hat so etwas abgelehnt. Dieses Klischee zu nähren, finde ich zum Kotzen. Meine Musik muss immer mit dem zu tun haben, was ich bin und mache. Bei einer Lesung mit meinem Vater hat mich einmal wer gefragt, ob ich einen Fluchttrieb in mir spüre. Ich habe geantwortet: nur wenn ich solche Fragen höre. Wir sind kein ziehendes Volk. Ich bin Wiener. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 30.4.2012)