Gasprom, Europas Hauptlieferant von Erdgas, sollte zu mehr Transparenz gezwungen werden, fordert Buchautor Jürgen Roth.

Foto: Standard/urban Andy

"Gazprom, das unheimliche Imperium". 290 Seiten / 20,60 Euro. Westend-Verlag, Frankfurt/Main 2012

Foto: Standard/urban Andy

Die russische Gasprom, einer der mächtigsten Energiekonzerne der Welt, sei eine Gefahr für Europa, sagt Jürgen Roth. Welche Rolle Putin dabei spielt und wieso Wien eine Sonderrolle hat, sagte der Buchautor zu Günther Strobl.

STANDARD: Mit Ausnahme der Südländer hängt halb Europa am russischen Gashahn. Was ist so gefährlich daran?

Roth: Dass wir erpressbar sind. Die Ukraine, Weißrussland, aber auch Mitgliedsländer der EU wie Polen oder Bulgarien sind bereits mit der Gaswaffe erpresst worden.

STANDARD: Russland hängt andererseits von Deviseneinnahmen ab.

Roth: Gasprom macht Milliardengewinne dank dieser Geschäfte. Diese kommen aber nicht der Bevölkerung in Russland zugute, sondern einer kleinen Clique.

STANDARD: Man könnte auch sagen, dass gegenseitige Abhängigkeit zusammenschweißt. Bisher hat das ganz gut funktioniert. Selbst in der Zeit des Kalten Krieges ist Gas von Ost nach West geströmt.

Roth: Das mag sein, ändert aber nichts am Faktum, dass damals ein totalitäres System geherrscht hat, das mit diesen Gaslieferungen gestützt worden ist. Heute ist es eine Clique im Umfeld von Gasprom, die vom Gasgeschäft profitiert und bis in den Kreml reicht.

STANDARD: Schwere Vorwürfe ...

Roth: ... die bis zu Wladimir Putin (wiedergewählter russischer Präsident; Anm.) gehen. Er besitzt selbst Anteile an Gasprom. Gasprom steht gewissermaßen für das Putin'sche System, das da heißt: Ausbeutung der Rohstoffe und Vereinnahmung der Profite durch eine kleine Gruppe.

STANDARD: Unterscheidet sich Russlands Gasindustrie wesentlich von der in der Vor-Putin-Ära?

Roth: Nein, überhaupt nicht. An den intransparenten Strukturen, den undurchsichtigen Tochtergesellschaften hat sich bis heute nichts geändert. Nur die handelnden Personen sind teils andere.

STANDARD: Sie fahren in Ihrem jüngsten Buch schwere Geschütze gegen Russlands größtes Unternehmen und einen der weltgrößten Energiekonzerne auf. Was war Auslöser für Ihre Beschäftigung mit dem Thema?

Roth: Ich beschäftige mich seit langer Zeit mit organisiertem Verbrechen und mafiösen Strukturen. In diesem Zusammenhang bin ich auch über Gasprom gestolpert.

STANDARD: Gasprom sei ein Staat im Staate, hört man. Ließ sich das durch Ihre Recherchen erhärten?

Roth: Natürlich. Gasprom hat eigene Streitkräfte, eigene Medien und bestimmt die Politik zumindest teilweise mit. Ehemalige Geheimdienstleute aus dem KGB bzw. der Nachfolgeorganisation FSB sind heute auf unterschiedlichsten Ebenen von Gasprom vertreten. Sie beherrschen einerseits Gasprom, andererseits auch den russischen Staat. Ich glaube, das ist wirklich eine große Gefahr.

STANDARD: Österreich, namentlich Wien, spielt für Gasprom eine besondere Rolle. Wieso?

Roth: Schon zu Zeiten des Kommunismus hatten KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion; Anm.) und der Geheimdienst KGB in Wien Stützpunkte, das hat sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fortgesetzt. Es gibt hier Banken, etwa die Raiffeisen Investment AG, die in Osteuropa sehr aktiv sind. Es gab über lange Zeit engste Beziehungen mit Personen mit teils kriminellem Hintergrund wie Sergej Michailow (Kopf einer kriminellen Mafiaorganisation; Anm.), die sich in Wien niedergelassen haben. Die sind ins Gasgeschäft eingestiegen, weil das am lukrativsten ist.

STANDARD: Was sollte Europa tun?

Roth: Europa könnte von Russland Transparenz einfordern, die internationale Konvention über Menschenrechte und gegen Korruption durchsetzen. Russland und die Staaten in Zentralasien müssten alle Gaseinnahmen öffentlich machen. So wäre das Verschieben von Einnahmen aus dem Gasgeschäft auf Offshore-Firmen nicht mehr möglich.

STANDARD: Wie sehen Sie das Pipelineprojekt Nabucco, das von Brüssel unterstützt wird?

Roth: Da gibt es eine schräge Optik. Auf der einen Seite will man von Russland unabhängig werden, was richtig ist, weil es trotz aller Zusicherung so 100 Prozent sicher gar nicht ist. Auf der anderen Seite werden dadurch zentralasiatische Despoten gestützt.

STANDARD: Sollte man mit diesen Ländern gar keinen Handel mehr betreiben, obwohl sie so viel Öl und Gas haben?

Roth: Wenn man dort auch nur ansatzweise demokratische Strukturen stärken will, darf man mit den Schurkenstaaten keine Geschäfte machen. Ob Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan - wer mit diesen Ländern Handel betreibt, unterstützt diese despotischen Regime.

STANDARD: Wer sich mit Gasprom anlegt, lebt gefährlich, zitieren Sie jemanden im Buch. Leben Sie gefährlich?

Roth: Nein. Ich glaube, Journalisten in Westeuropa haben nichts zu befürchten. Gefährlich leben die Kollegen in Osteuropa, wenn sie sich mit den Strukturen von Gasprom und mit der Frage beschäftigen, wer davon profitiert - in Bulgarien genauso wie in Russland oder in der Ukraine. (Günther Strobl, DER STANDARD, 30.4./1.5.2012)