Es war die größte Demonstration seit der Wende des Jahres 1989. Schätzungsweise 100.000 Menschen zogen am Samstag vor zwei Wochen durch Prag und versammelten sich schließlich - wie damals, in den Tagen der politischen Wende vor 22 Jahren - auf dem Wenzelsplatz. Die Teilnehmer der Kundgebung kamen oft in Zügen und Bussen aus dem ganzen Land angereist. Ihr Protest galt in erster Linie den als unsozial empfundenen Sparmaßnahmen, der angestrebten Erhöhung der Mehrwertsteuer wie auch den geplanten Reformen des Pensionssystems.

Dreh- und Angelpunkt des Protests ist schon seit Monaten der tschechische Gewerkschaftsdachverband CMKOS. Diesem ging in den vergangenen Jahren der Ruf voraus, viel zu zahm zu sein. Doch seitdem vor zwei Jahren Jaroslav Zavadil oberster tschechischer Gewerkschafter wurde, macht der Verband mit seinen Mitgliedern auch immer öfter auf der Straße mobil. Jüngst beschloss der CMKOS bis auf weiteres nicht mehr an den Sitzungen der Sozialpartnerschaft teilnehmen zu wollen, da sich die Gewerkschaftsvertreter von der Regierung nicht ernst genommen fühlen. In den nächsten Wochen will man weitere Proteste initiieren, immer öfter ist auch von einem möglichen Generalstreik die Rede.

CMKOS achtet darauf, nicht von den Oppositionspolitikern vereinnahmt zu werden. Umso stärker bringen sich die Gewerkschafter in eine breite Plattform gegen die jetzige Regierung ein, an der sich auch andere Anti-Regierungs-Initiativen beteiligen. Viele dieser Gruppen haben ihre Wurzeln in der Bewegung gegen den einst geplanten Bau des US-Raketenabwehrschirms in Tschechien. (Robert Schuster aus Prag, DER STANDARD, 30.4.2012)