Kairo - Der in Ägypten herrschende Oberste Militärrat ist offenbar zu einer Kabinettsumbildung bereit. Wie die im Parlament dominierenden, islamistischen Muslimbrüder am Sonntag auf ihrer Website mitteilten, teilte der Chef des Militärrates, Hussein Tantawi, dies dem Parlamentspräsidenten Saad al-Katatni mit. Kurz zuvor hatte Katatni angekündigt, dass das Parlament aus Protest gegen den Militärrat seine Arbeit für eine Woche aussetze. Der Rat wolle die Islamisten über die Kabinettsumbildung in die Regierung von Ministerpräsident Kamal al-Ganzouri integrieren, berichtete die staatliche Internetseite Al-Ahram unter Berufung auf Regierungskreise.

Regierungsumbildung innerhalb von 48 Stunden

Seit mehreren Wochen fordern die Muslimbrüder die Militärführung auf, die von diesem eingesetzte Regierung zu entlassen und die als Sieger aus den Parlamentswahlen hervorgegangene Partei der Muslimbrüder mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit stellt seit den Parlamentswahlen Ende des Vorjahres, Anfang des heurigen Jahres gemeinsam mit den radikaleren Salafisten fast drei Viertel der 498 Abgeordneten im ägyptischen Parlament.

Die ägyptische Nachrichtenagentur Mena meldete am Sonntag unter Berufung auf Parlamentspräsident und Muslimbruder Katatni, dass der Militärrat eine Regierungsumbildung unter Ministerpräsident Ganzouri plane. Diese solle "innerhalb von 48 Stunden" verkündet werden, sagte Katatni demnach.

Muslimbrüder wollen Koalition bilden

Ganzouri war bereits von 1996 bis 1999 Regierungschef unter Machthaber Hosni Mubarak, der im Februar 2011 unter dem Eindruck von Massenprotesten zurücktrat und sich nun vor Gericht verantworten muss. Im November war Ganzouri vom Militär, das das nordafrikanische Land seit dem Sturz von Langzeit-Präsident Mubarak führt, erneut zum Premier ernannt worden. Die Islamisten verlangen eine Koalitionsregierung, um die Zusammensetzung der Volksvertretung abzubilden.

Proteste gegen Ausschluss von salafistischem Kandidaten

Bei Zusammenstößen zwischen Salafisten und Zivilisten in Kairo wurde in der Nacht auf Sonntag nach Behördenangaben ein Mensch getötet. 119 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium mit. Die Zusammenstöße ereigneten sich bei Protesten von Anhängern des von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossenen Salafisten Hasem Abu Ismail. Mena berichtete, die Demonstranten seien von Anrainern des Stadtteils angegriffen worden, in dem die Proteste stattfanden. Von offizieller Seite wird Gewalt bei Demonstrationen in Ägypten häufig Schlägertrupps zugeschrieben, die auf eine gegnerische Gruppe losgelassen werden.

Ägypten geht nach dem Einbruch der Touristenzahlen wieder von einer vollständigen Erholung im heurigen Jahr aus. Die Zahl der Reisenden dürfte wieder die Marke von 14,5 Millionen erreichen und damit so hoch wie vor dem Sturz Mubaraks liegen, erklärte Tourismusminister Mounir Fakhri AbdelNour. In den ersten vier Monaten sei die Zahl der Touristen bereits um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Der Sturz der Staatsspitze hatte viele potenzielle Urlauber verunsichert und die ägyptische Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Das Geschäft mit Gästen machte in dem nordafrikanischen Land mehr als ein Zehntel der Wirtschaftsleistung aus. Jeder achte Ägypter findet hier einen Job. Die hohe Arbeitslosigkeit war einer der Gründe für die Massenproteste, die zum Sturz des Machthabers im vergangenen Jahr führten. (APA, 30.4.2012)