Martin Balluch (li.), Elmar Völkl. Der dritte Interviewte, Leo H., möchte sein Gesicht nicht in den Medien sehen.

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Die Depression "nicht verhindert, sondern nur hinausgezögert": Martin Balluch.

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"Es gibt einfach zu wenige kritische Leute": Elmar Völkl.

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13 Monate Strafprozess - und dann der Freispruch in allen Punkten: Vor einem Jahr endete der aufsehenerregende Prozess gegen 13 TierrechtsaktivistInnen, die am Wiener Neustädter Landesgericht wegen das "Mafiaparagrafen" 278a angeklagt waren, mit einem nicht rechtskräftigen Urteil. Wie es ihnen seither ergangen ist und warum nicht alle in der Causa einen Justizskandal orten, hat derStandard.at mit drei der ehemals beschuldigten TierrechtlerInnen besprochen: Martin Balluch und Elmar Völkl vom Verein gegen Tierfabriken (VgT) und Leo H. von der Basisgruppe Tierrechte (BaT).

derStandard.at: Wenn Sie zurückdenken an die Zeit unmittelbar nach dem Freispruch: Wie haben Sie die ersten Wochen erlebt?

Balluch: Ich habe mich in diesem Prozess zu 180 Prozent verteidigt. Man hat mir gesagt, dass man, wenn man da so mit voller Energie drinnen war, nach dem Urteil leicht in eine Depression fällt. Ich habe versucht, das zu vermeiden, indem ich mich gleich mit Vollgas in eine Tierschutzkampagne gestürzt habe. Aber wie sich später herausstellte, hat das den depressiven Zusammenbruch nicht verhindert, sondern nur verzögert. Die Depression ist dann mit Ende der Kampagne gekommen. Und in den vergangenen vier Monaten hatten wir schon ziemlich schwer zu schaffen im Verein, um uns wieder zu motivieren. Es war ein Vakuum, ein Regenerationsbedarf.

H.: Der Prozess war schon kräftezehrend. Und es ist ja noch immer nicht vorbei. Das bei mir vorherrschende Gefühl war und ist, dass ich gerne endlich einen Schlusspunkt hätte.

Völkl: Nach dem Prozess war ein Loch - immerhin waren dieser Prozess und die Vorbereitung darauf drei Jahre lang quasi meine Hauptbeschäftigung. Und plötzlich war das aus. Ich habe mir drei Wochen Auszeit genommen, mich dann auf meine Dissertation gestürzt und sie relativ rasch abgeschlossen. Ich war ja zum Zeitpunkt meiner Inhaftierung kurz vor dem Abschluss. Damals wollte ich in die Wissenschaft oder in die Industrie gehen.

Stattdessen habe ich mich entschlossen, hauptberuflich im Tierschutz zu arbeiten. Dieses Verfahren hat mich darin bestärkt. Das war so offensichtlich ein politischer Prozess, dass ich dachte: Es gibt so wenige Leute, die sich engagieren, und ich tue es gern, also muss ich es machen. Bei einer normalen Karriere in Wissenschaft oder Industrie hätte mir etwas gefehlt.

Balluch: Dieser Überfall auf meine Wohnung vor vier Jahren fand genau in jener Nacht statt, als wir am Morgen darauf mit einer bundesweiten Tierschutzkampagne starten wollten gegen Kastenstandhaltung. Wir hatten alles fertig: die Flugblätter, die Plakate, die Koordination der verschiedenen Gruppen. Und dann kam der Prozess. Und jetzt, vier Jahre später, schließen wir genau dort an und launchen diese Kampagne. Das Schlimme war die Erkenntnis, dass wir in diesen vier Jahren schwere Arbeit geleistet haben - und alles nur, um an derselben Stelle stehen zu bleiben. Das ist schwierig, selbst wenn man das Ganze dann gewinnt.

derStandard.at: Wie oft kreisen Ihre Gedanken heute um diesen Prozess?

Völkl: Ich vergesse recht schnell - und den Rest verdränge ich.

Balluch: Bei mir ist der Prozess noch recht präsent. Erstens ist er noch nicht überstanden. Zweitens bin ich auch danach wieder vor Gericht gekommen. Die Niederösterreichische Landwirtschaftskammer hat mich geklagt, zwei weitere Verfahren sind anhängig. Der Prozess der Landwirtschaftskammer zielt darauf ab, dass das Gericht mir verbieten soll, künftig zu Aktionen des zivilen Ungehorsams aufzustacheln. Das erinnert mich stark an unseren Prozess.

H.: Ich werde immer dann an unseren Prozess erinnert, wenn anderen Leuten Ähnliches passiert. Jetzt zum Beispiel den vier Uni-AktivistInnen, gegen die auch mit dem 278er-Paragrafen ermittelt wurde, sogar in der schärferen Variante § 278b StGB. Da sehen wir auch, wie einfach dadurch massivste Maßnahmen wie Überwachung und U-Haft möglich waren - auch wenn dann die Anklage nicht auf § 278b erfolgt ist. Mir kommt es so vor, als wäre das, was wir durchgemacht haben, nur ein bisschen ein Vorgeschmack auf das, was da noch kommen kann von einem immer autoritärer werdenden Staat.

derStandard.at: Bei den vier Uni-AktivistInnen, die Sie ansprechen, wurde der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung letztlich fallengelassen. Hat die Justiz aus Ihrer Causa gelernt?

H.: Das glaube ich schon. Ich denke, dass wir durch unsere Verteidigungsarbeit indirekt dazu beigetragen haben, Fehler im Verfahren aufzudecken.

derStandard.at: Der Staatsanwalt könnte Berufung einlegen. Macht Ihnen das Angst?

Völkl: Ich bin insofern optimistisch, als ich glaube, dass der Vorwurf der kriminellen Organisation nicht noch einmal erhoben wird. Aber bei manchen Einzeldelikten wird wahrscheinlich schon noch berufen werden. Der Prozess als Gesamtprojekt geht weiter, aber auf Einzelschauplätzen.

H.: Ich befürchte, dass man versucht, einen letzten Rest an Kriminalisierung zu retten - indem man bei einzelnen Vorwürfen zu Verurteilungen kommt. Diese Einzelvorwürfe hätte es ohne den Paragrafen 278a aber nie gegeben – darum wäre es wichtig, auch diese kleinen Prozesse weiterhin als politische Verfahren zu sehen.

derStandard.at: Viele haben die Causa als "Justizskandal" bezeichnet. Würden Sie sie auch so einordnen?

Balluch: Auf jeden Fall.

Völkl: Ich nicht. Unser Prozess ist leider nur ein prominentes Beispiel grundsätzlich bedenklicher Tendenzen in der Justiz. Im ersten Drittel unseres Verfahrens hat man vermutlich ganz gut gesehen, wie solche Prozesse normalerweise ablaufen. Da hat man das Gefühl, man ist nicht nur für den Staatsanwalt, sondern auch vor Gericht vorverurteilt. Man sieht ja auch in der Öffentlichkeit, dass das Misstrauen gegenüber der Justiz immer stärker wird. Da ist unsere Sache sicher ein Puzzlestein.

In der U-Haft habe ich erlebt, wie andere Menschen, die nicht so eine starke Stimme hatten wie wir, kriminalisiert werden. Alle Kleinkriminellen wurden ganz anders angefasst als wir. Die Behörden haben schnell gelernt, dass sie mit uns vorsichtiger umgehen müssen, als sie das normalerweise tun - weil sie wussten, dass das sonst medial schnell nach außen getragen würde. Vor allem mit den jüngeren drogenkranken Inhaftierten ist man absolut menschenunwürdig umgegangen. Die haben versucht, sich mit Druckbleistift Substanzen intravenös zuzuführen, sind medizinisch extrem vernachlässigt worden. Da läuft für mich etwas schief, wenn es so weit kommt.

Balluch: Trotzdem ist es ein Justizskandal, wenn Entlastungsbeweise geheim gehalten werden. Wenn die Justiz Übertretungen seitens der Polizei einfach ignoriert. Das ist ein Skandal - selbst dann, wenn es oft passiert. Auch der Sektionschef Pilnacek vom Justizministerium hat im Gespräch mit uns gemeint, das wäre ein "historischer Prozess".

H.:  Also ich würde da dem Herrn Sektionschef widersprechen (lacht). Nicht unser Verfahren ist der Skandal, sondern der Skandal besteht im System selbst. Es ist wichtig, auch nach einem hoffentlich glücklichen Verfahrensausgang nicht zur Normalität zurückzukehren, sondern weiterhin kritisch zu beobachten, wie anderen Menschen Rechte entzogen werden.

derStandard.at: Was muss sich ändern, damit so etwas nicht mehr passiert?

Völkl: Das ist die Masterfrage. Ich habe keine Antwort darauf. Ich fürchte, dass die kritische Zivilgesellschaft zu schwach ist, um etwas zu ändern. Es gibt einfach zu wenige kritische Leute.

Balluch: Ich hätte eine große Zahl von Verbesserungsvorschlägen. Das fängt an bei der Strafprozessordnung und geht bis zum Strafvollzug - schon allein da ist in meinen Augen sehr viel verbesserungswürdig. Das reicht von der Möglichkeit, täglich zu duschen, bis zum Besuch und dem Zugang zum Telefon. Das wäre alles möglich und würde das Leben wahnsinnig erleichtern, ohne die Sicherheit zu kompromittieren. Ich konnte zweimal die Woche duschen und einmal die Woche telefonieren. Und ich weiß noch, wie toll es war, ein einziges Mal in diesen drei Monaten einen Besuch zu haben, den man angreifen konnte - ein sogenannter Tischbesuch. Ich verstehe nicht, warum das nicht öfter sein kann. Warum die Telefongespräche so selten und so kurz sein müssen. Warum nicht einfach ein Handy haben? Die können das dann eh aufnehmen, wie sie es so gerne machen.

derStandard.at: Werden Sie vom Staat finanzielle Entschädigung fordern?

Völkl: Ja, wir wollen wir eine Amtshaftungsklage einreichen. Aber das geht erst, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Diese komplett verbogene Sicherheitstür zu meiner Wohnung, die ich jeden Tag mindestens einmal auf- und zumachen muss, erinnert mich jedes Mal daran. Eigentlich müsste den Schaden ja die Polizei bezahlen, weil sie die Tür ruiniert hat. Aber ich kann nicht einmal einen Kostenvoranschlag einholen, weil ich ja noch nicht einmal weiß, ob sie es bezahlen werden. Es gibt jede Menge Spesen - Kopien, Anwaltskosten im Vorverfahren, die privat bezahlt werden mussten. Das war so viel, dass dann später, im Hauptverfahren, schon fast alle bankrott waren und ein Anrecht auf Verfahrenshilfe hatten. Dazu kommen hypothetische Kosten: Was für ein Einkommen hätte ich bezogen, wenn das alles nicht gewesen wäre? Ich hätte heute sicher kein Minus am Konto.

derStandard.at: Wie viel Geld fordern Sie vom Staat?

Völkl: Fixe Beträge, die mir als Schaden entstanden sind, belaufen sich sicher auf 50.000 Euro. Der Verdienstentgang ist unklar: Ich war ja an der Uni beschäftigt, wäre zur Zeit des Prozesses schon längst Doktor gewesen und in der Industrie gestanden, mit doppeltem Gehalt.

Balluch: Ich verlange mehrere hunderttausend Euro. Und wenn man mehrere Leute im VgT einbezieht, kommen wir wahrscheinlich auf eine Million. Ich stehe in den Startlöchern. Das schriftliche Urteil der Richterin war sehr stark, ich war beindruckt. Es gibt da sehr klare Statements, die eine Klage ermöglichen. So klar wie dort steht sonst nirgends, dass zum Beispiel die verdeckte Ermittlerin von Anfang an alles entschärft hätte. Also hat die Polizei dadurch, dass sie diese Beweise zurückgehalten hat, alles verschuldet. Darum klage ich die Republik. Den Gutachter, der offensichtlichen Unsinn geschrieben hat, will ich auf Schadenersatz klagen. Mein Problem ist nur: Wenn sich das noch weiter hinzieht, dann laufen schön langsam die Fristen ab, in denen man so etwas klagen kann.

H.: Für uns hätte allein schon die U-Haft den Ruin bedeutet, wenn wir nicht von verschiedenen Seiten Unterstützung bekommen hätten. Es gab ein Spendenkonto, von dem wir Ausgaben bezahlen konnten.

derStandard.at: Hat dieses Verfahren der Tierrechtsbewegung nur geschadet - oder hat sie auch davon profitiert?

Völkl: In Prozessen gegen Tierrechtsbewegungen war es international eher Usus, auf Deals einzugehen - die Aussage grundsätzlich zu verweigern und mit dem geringsten Übel auszusteigen. In den USA ist es sogar Standard, etwas zuzugeben, egal ob man's war oder nicht. Wir haben deutlich gezeigt, dass es mit einer offensiven Verteidigung durchaus möglich ist, das Blatt zu wenden. Unterm Strich ist in der öffentlichen Wahrnehmung übrig geblieben, dass sich die Justiz einen Schnitzer geleistet hat - und nicht wir die Kriminellen sind.

Balluch: Es hat uns geschadet, aber auch genützt. Auf der einen Seite ist das öffentliche Interesse an Tierschutz eindeutig gestiegen. Auch das Verständnis für Aktionen des zivilen Ungehorsams ist heute höher. Früher hat es bei Aktionen immer einige Leute gegeben, die gestänkert haben, das ist jetzt weniger stark.

Völkl: Auch die Polizei ist irgendwie freundlicher ...

Balluch: Ja, die Polizei ist um eine Dimension freundlicher. (lacht) Und die Leute bringen Tee, Obst, erkennen uns wieder aus dem Prozess, zeigen Solidarität. Allerdings, wenn das in zehn Jahren vergessen ist, kann das wieder anders aussehen. Und schlimm für uns war dieses vierjährige Vakuum, wo im Tierschutz nichts weitergegangen ist, weil fast alle Ressourcen in die Bekämpfung der Repression geflossen sind. Normalerweise haben wir jedes Jahr einen juristischen Fortschritt - und in diesen vier Jahren war nichts. Dazu kommt, dass die Leute verängstigt sind, sie trauen sich nicht mehr so offen zu reden.

H.: Man muss dazusagen, dass es international für Tierrechtsorganisationen härter wird. In einigen Ländern wird Tierrechtsengagement als Terrorismus gewertet, Europol beschäftigt sich speziell mit Tierrechtsextremismus - da geht die Entwicklung in eine immer repressivere Richtung. Unser Verfahren lag also im Trend. Das Urteil lag aber nicht im Trend.

derStandard.at: Würden Sie in Ihrem Aktivismus heute weiter gehen als früher, oder hat Sie der Prozess vorsichtiger gemacht?

Völkl: Man reagiert tendenziell vorsichtig. Weil der Prozess trotz Freispruchs an sich schon eine Strafe war. Und der Prozess ist ja noch nicht vorbei. Außerdem ist noch nicht klar, ob der finanzielle Schaden irgendwie kompensiert wird.

H.: Ich war vermutlich nie besonders risikofreudig. Aber ich sehe bei anderen AktivistInnen, dass Angst da ist. Weil man sieht, dass Aktionen des zivilen Ungehorsams, die man früher gerne gemacht hat, so krasse rechtliche Konsequenzen haben können. Ich frage mich, wie viel ich mir in puncto Tierrechte von einem Staat, der so repressiv gegen uns vorgeht, erwarten kann. Ich erhoffe mir da noch weniger als vorher. Aber die Gewalt gegen Tiere ist die gleiche, ich finde es auch wichtig, sich da nicht zu verhärten.

Balluch: Ich bin mehr denn je überzeugt, dass Widerstand wichtig ist. Und da gehören unter anderem auch Gesetzesübertretungen dazu, im Rahmen des zivilen Ungehorsams. Die sind klar absteckbar. Und das sollte im Rahmen der Grundrechte möglich sein, sonst haben wir keine Demokratie. (Maria Sterkl, derStandard.at, 2.5.2012)