Werner Lampert vor seinem Büro im ersten Wiener Gemeindebezirk.

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Ernährung ist mittlerweile eine komplizierte Angelegenheit. Biologisch, nachhaltig, gesund, wohlschmeckend, günstig: Die Anforderungen sind vielfach sehr hoch.

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Bio muss zur nachhaltigen Landwirtschaft werden, um eine Zukunft zu haben. Warum die Zeit der billigen Lebensmittel seiner Ansicht nach bald vorbei ist und Bio und Diskont eine sinnvolle Allianz ergeben, erzählt Bio-Pionier Werner Lampert im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Sie haben in einem Interview gesagt, echtes Bio geht heute nur noch beim Diskonter. Was ist echtes Bio?

Lampert: Das weiß ich nicht, ob ich das so gesagt habe. Aber wenn: Qualitätsarbeit kann man - was für mich sehr überraschend war - eigentlich nur noch mit dem Diskonter machen.

derStandard.at: Das müssen Sie mir jetzt erklären ...

Lampert: Der Diskonter hat seine Kostenstruktur total im Griff. Und die ist minimiert bis zum Geht-nicht-mehr. Nur wenn du die Infrastrukturkosten runterfahren kannst, kannst du auch mehr für die Produkte bezahlen und trotzdem relativ günstig anbieten. Hast du also Qualitätsanforderungen an die Bauern, an die Verarbeiter, brauchen die auch einen höheren Preis.

derStandard.at: Womit wir schon bei einem ganz wichtigen Thema sind - beim Preis. Schauen wir uns zum Beispiel ein Hendl an: Wenn ich eine Biohenne beim Hofer kaufe, kostet die zehn Euro, am Markt zahle ich rund 18 Euro. Das Sulmtaler Hendl kostet im Direktverkauf rund 40 Euro. Wie erklären sich die Unterschiede?

Lampert: Sie haben das konventionelle Hendl im Lebensmittelhandel vergessen. Dafür zahlen Sie wahrscheinlich fünf Euro. Das Sulmtaler lassen wir jetzt einmal weg. Die Geschichte ist ganz einfach: Ein normales Biohendl hat eine doppelt so lange Lebenszeit, braucht doppelt so viel Futter, das natürlich doppelt so teuer ist wie das konventionelle Futter. Sie haben ganz andere Haltungsanforderungen wie Auslauf, also nicht nur Scharrraum und Bewegungsraum, sondern wirklich Auslauf im Grünen. Das ist alles mit Kosten verbunden.

derStandard.at: Sie klingen jetzt so, als ob Sie den Preis zu verteidigen hätten. Meine Frage wäre aber eher: Ist das nicht zu knapp kalkuliert?

Lampert: Über diese Einschätzung würden sich jedenfalls die Hühnerbauern freuen. Die größten Aufwendungen gibt es bei den Hühnern, weil Biohühner mindestens doppelt so teuer sind wie die konventionellen. Die Konsumenten meinen eher: Doppelt so teuer, das ist ja verrückt. Ich habe nie verstanden, warum der Qualitätsbegriff bei Lebensmitteln so eine geringe Rolle spielt. Jeder, der einmal ein gutes Biohuhn im Rohr gehabt hat, weiß, dass es ein völlig anderer Genuss ist als ein konventionelles Huhn. Es ist so offensichtlich, dass sich der Preis von selbst darstellt.

derStandard.at: Kein Gift, keine Pestizide und kein Kunstdünger: Das sind im Prinzip Mindeststandards, die Bio heute kennzeichnen. Reicht das den Konsumenten?

Lampert: Bei uns ("Zurück zum Ursprung" beim Diskonter Hofer, Anm.) gibt es keine einzige Kuh, kein Rind und kein Kalb, das nicht mindestens 120 Tage Weidehaltung hat. Nicht Auslauf: Weidehaltung. Und die sind nicht 120 Tage auf der Weide, um ihre Füße zu vertreten, sondern die nehmen auch ihr Futter dort auf. Bei unserem Projekt ist in keinem Futter Soja drinnen. Das haben wir verboten, weil es der Qualität des Produktes und der Gesundheit der Rinder abträglich ist. Im Hühnerfutter ist Soja drinnen, aber österreichisches Soja. Da wird kein Regenwald eingeäschert, kein indigenes Volk vernichtet, kein Boden verseucht. Oder unser Gemüse: Da wird kein Kupfer gespritzt, da wird kein Stickstoff zugefügt. Das wäre alles erlaubt. Aber unsere Bauern arbeiten tatsächlich am Aufbau der Humusqualität. Und alles, was an Humusqualität da ist, ist dann als Produktqualität auf dem Tisch. Wir gehören zu denen, die in der Landwirtschaft die höchsten Anforderungen haben.

derStandard.at: Gleichzeitig erwarten sich offenbar viele Konsumenten mehr. Zum Beispiel keine Tiertransporte, keine Massentierhaltung oder keine großflächige, industrialisierte Landwirtschaft, auch wenn sie unter biologischen Voraussetzungen geschieht.

Lampert: Ich weiß nicht, von welchen Konsumenten Sie sprechen. Vielleicht gibt es 0,5 Prozent Konsumenten, die das Gefühl haben, wenn man Fleisch isst, muss das Tier vom Bauern auf dem Hof geschossen werden, während es auf der Wiese ist. Solche Träume hatten wir auch. Aber das ist keine Lebenswirklichkeit. Zumindest nicht für 99,5 Prozent der Menschen.

derStandard.at: Denken Sie, Biokonsumenten wollen Hybridhendln, die in Windeseile für den Verzehr gezüchtet werden, oder Puten, die nicht mehr laufen können, weil sie nur für den möglichst ergiebigen Fleischertrag gezüchtet werden?

Lampert: Diese Rassen sind gang und gäbe, weil kein Mensch 40 Euro für eineinhalb Kilo Huhn ausgeben will. Da bin ich total sicher. Nicht einmal bei den Bioläden funktioniert das.

derStandard.at: Die Landwirtschaft wird hoch subventioniert. Trotzdem kann ein Legehennen-Züchter mit 500 Hühnern auch in der Biobranche nicht überleben. Überleben können auch hier offenbar zum Großteil nur die Großen. Ist das der Weisheit letzter Schluss?

Lampert: Das stimmt doch überhaupt gar nicht. In Österreich gibt es rund 85 Prozent kleine Bauern. Wir haben in Murau Bauern mit zwei Kühen dabei, die bekommen einen guten Milchpreis bezahlt. Ich bin mit einem Bauern befreundet, der hat viele hundert Hektar. Er ist Demeter-Bauer und geht vorbildlich mit seinem Boden, dem Vieh, den Bäumen um. Auch wenn er - weil Großbauer - als Industriebauer diffamiert würde. Für mich ist das eine Biolandwirtschaft, die wirklich Zukunft hat. Ich sage immer: Bio und Nachhaltigkeit haben sehr wenig miteinander zu tun.

derStandard.at: Ein Vorwurf, der auch von vielen Biopionieren kommt ...

Lampert: Bio und Nachhaltigkeit sind zwei Geschwister, die sich selten im Leben treffen. Ich kenne kleine Biobauern, die mit den Tieren nicht ordentlich umgehen, die eigentlich keine Ahnung haben, wie man mit Grund und Boden, mit Humus umgeht. Das heißt: Groß ist industriell und schlecht und klein ist gut, diese Rechnung geht nicht auf. Die Haltung des Menschen, sein Charakter und wie er Bio betreibt, das ist das Entscheidende.

derStandard.at: Aber darf sich der Konsument nicht zu Recht erwarten, dass Bio und Nachhaltigkeit eben doch miteinander zu tun haben?

Lampert: Diese Frage stellt sich gar nicht. Es wird in zehn Jahren kein Bio mehr geben, wenn Bio nicht wirklich zum Vorreiter der nachhaltigen Landwirtschaft wird. Bio braucht eine totale Wende. Wir stehen doch vor der Frage, woher wir in 20 Jahren die Lebensmittel nehmen. Da muss man sich fragen, wie Landwirtschaft aussehen muss, dass wir uns dann auch noch ernähren können. Das kann nur eine Landwirtschaft sein, die zur nachhaltigen Landwirtschaft geworden ist. Bio und Nachhaltigkeit müssen zum Synonym werden.

derStandard.at: Das heißt in der Praxis?

Lampert: Wir haben Humusverfrachtungen und Erodierungen, die Nährstoffqualität unseres Bodens nimmt radikal ab. Wir müssen also die Bodenqualität aufbauen. Das macht man nicht mit zugekauftem Stickstoff und Industrieabfällen, sondern mit einer altmodischen Kompostwirtschaft. Die Bauern, die in die Landwirtschaftsschule gegangen sind, wissen heute ganz genau, was sie tun müssen, um den höchsten Ertrag aus dem Vieh herauszuholen. Sie haben aber keine Ahnung davon, was man als Bauer tun muss, um die Qualität der Milch zu steigern. Bio und Nachhaltigkeit machen nur dann Sinn, wenn am Ende ein besseres Lebensmittel herauskommt.

derStandard.at: Geht sich das mit unserem jetzigen Preisgefüge aus?

Lampert: Diese Lebensmittelpreisdiskussion ist vollkommen sinnlos. Die Zeit der billigen Lebensmittel ist vorbei. Total vorbei. In fünf Jahren wird es das nicht mehr geben.

derStandard.at: Wie kommen Sie darauf? Die Lebensmittelindustrie beschert uns Heidelbeerjoghurts, die nie eine Heidelbeere gesehen haben, mit künstlichen Aromen aus dem Chemielabor. Es wird heftig am künstlichen Fleisch geforscht. Und das alles, um billige Lebensmittel bereitzustellen.

Lampert: Ich komme aus einem ganz einfachen Grund darauf. Schon in fünf Jahren werden wir alle Hände voll zu tun haben, dass wir genügend Lebensmittel im Handel haben. Deswegen wird der Preis naturgemäß steigen. Und zur Nahrung aus den Chemielabors: Mein Gott! Ende der 1960er Jahre hat man gesagt, dass man in 20 Jahren nur noch Astronautenfutter essen wird. Kein Mensch isst so etwas. Menschen haben Empathie und sind sinnliche Wesen. Die wollen riechen und schmecken. Die Menschen werden immer höhere Anforderungen an qualitativ hochwertige Lebensmittel haben. Die werden von Bauern erzeugt werden und von handwerklich ausgebildeten, verantwortungsvollen Menschen verarbeitet.

derStandard.at: Wie muss die Förderlandschaft ausschauen, um bei diesem Wandel mitzuwirken?

Lampert: Mir hat einmal jemand gesagt, er findet, dass die Förderungen falsch laufen. Er dachte, die beste Förderung sei: Wenn jemand nachhaltige, verantwortungsvoll produzierte Produkte kauft, sollte er direkt an der Kassa einen Abschlag von zehn, 20 Prozent bekommen. Der Bauer könnte den wirklichen Preis verrechnen und der Konsument bekommt eine Belohnung. Das ist doch eine geniale Idee. (Regina Bruckner, derStandard.at, 7.5.2012)