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Torsten Albig (SPD) könnte der neue Ministerpräsident Schleswig-Holsteins werden.

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Politologe Hopmann erklärt das Spezifische an den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein.

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Am Sonntag wählen 2,2 Millionen Schleswig-Holsteiner ihren neuen Landtag. Die bisher regierende CDU liegt Kopf an Kopf mit der SPD bei knapp über 30 Prozent. Die Grünen würden demnach auf 13 Prozent kommen, die FDP auf sechs, die Piratenpartei auf neun Prozent. Eine Sonderrolle hat die Partei der dänischen Minderheit, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW). Er ist von der Fünf-Prozent-Hürde, die Parteien für den Einzug in den Landtag benötigen, ausgenommen. Durch diese besondere Konstellation wird der den Wahlen nachfolgende Poker um eine neue Regierung spannend. derStandard.at befragte im Vorfeld der Landtagswahl den Politologen David Nicolas Hopmann, der an der Süddänischen Universität in Odense lehrt und forscht.

derStandard.at: Das Besondere an der Wahl in Schleswig-Holstein ist die dänische Minderheit in Schleswig. Welche Rolle spielt diese Minderheit im täglichen Leben?

Hopmann: Die dänische Minderheit lebt primär an der Grenze zu Dänemark. Es gibt keine offizielle Statistik, wie viele Menschen der Minderheit angehören. Man geht aber von Zahlen zwischen 20.000 und 50.000 aus. Je weiter südlich man kommt, umso weniger werden es. Sie sind sehr gut organisiert: Es gibt eigene Schulen, eigene Kindergärten, eigene Kirchen, eigene Sportvereine, sogar eine eigene Zeitung. Es gibt auch einen Kulturverein, der allein 16.000 Mitglieder hat.

derStandard.at: Welche Sprache ist im Alltag vorrangig? Deutsch oder Dänisch?

Hopmann: Offiziell spricht man natürlich Dänisch. In Wirklichkeit ist das im Alltag sehr gemischt. Das hat historische Hintergründe, es geht um den Grenzkampf und darum, ob man damals loyal gegenüber dem deutschen Kaiser oder dem dänischen König war. Ein großer Teil der dänischen Minderheit war geschichtlich eher deutschsprachig. So war zum Beispiel Deutsch auch in der Zeit, als ganz Schleswig zu Dänemark gehörte, zentrale Verwaltungssprache, man konnte also problemlos deutschsprachig, aber Dänisch gesinnt sein. Die meisten - oder eigentlich sogar alle - sind zweisprachig. In den Schulen ist allein Dänisch die Unterrichtssprache, in der Kirche wird primär auf Dänisch gepredigt. Privat wird auch oft Deutsch gesprochen.

derStandard.at: Obwohl Schleswig-Holstein als Paradebeispiel für ein gelungenes Neben- und Miteinander einer Minder- mit einer Mehrheit gilt, gibt es doch auch negative Töne. So hat die CDU im Wahlkampf Stimmung gegen die Minderheit gemacht. Geht hier die CDU mit billigem Populismus auf Stimmenfang?

Hopmann: Ganz generell: Das Zusammenleben klappt gut. Die Grenze zwischen Deutsch und Dänisch ist fließend, da gibt es im Alltag keine Probleme. Es ist aber schon so, dass es etwa bei der Thematik um finanzielle Förderungen der Institutionen der Minderheit ein paar Probleme gibt. Dänische Schulen sind formalrechtlich zwar privat, fungieren aber de facto als öffentliche Schulen der Minderheit. Sie werden finanziell aber schlechter behandelt als öffentliche deutsche Schulen.

Konkret geht es darum, dass man vor einigen Jahren die Bezuschussung der dänischen Schulen auf 100 Prozent angehoben hat. Das heißt, die Schulen bekamen 100 Prozent von dem, was ein durchschnittlicher deutscher Schüler kostet. Jetzt, da die Haushaltslage in Schleswig-Holstein schlecht ist, hat man diese Bezuschussung auf 85 Prozent gesenkt, was die Minderheit wahnsinnig aufregt. Das Argument ist: Warum spart man bei uns mehr als bei deutschen Schulen? Außerdem hat dieses einseitige Sparen zu harscher Kritik aus Kopenhagen geführt.

derStandard.at: Die CDU wird am Sonntag aller Voraussicht nach die Macht verlieren.

Hopmann: Ja, deshalb versucht sie nun, ihre Gegner anzugreifen - ganz normal im Wahlkampf. Die CDU hofft zum anderen, dass die Nationalkarte zieht. Die mögliche Koalition aus SPD, Grünen und dem SSW wird dann zum Beispiel abschätzig als "Dänen-Ampel" bezeichnet. Oder es wird herumfabuliert, ob jetzt alle Kinder, die dänische Schulen besuchen, auch wirklich dänisch genug sind. Damit greift man einen ganz wichtigen Konsens im deutsch-dänischen Grenzland an, nämlich den Satz "Minderheit ist, wer will".

derStandard.at: Der SSW ist als Minderheitenpartei als einzige Partei von der Fünf-Prozent-Klausel ausgenommen, die normalerweise übersprungen werden muss, um in den Landtag einzuziehen.

Hopmann: Ja, das löst auch zum Teil den Krach um den SSW aus. Hier wird von politischen Gegnern argumentiert: Ihr habt hier ein Sonderrecht, also muckt nicht auf und seid ein bisschen leiser. Deswegen wird es sehr spannend sein zu sehen, ob der SSW am Sonntag über diese Hürde kommt. Denn kommt er darüber, verliert dieses Argument natürlich an Gehalt. Wenn er jedoch unter die Fünf-Prozent-Hürde gerät und dennoch in die Regierung eintritt, werden viele Konservative sicherlich laut brüllen - auch bundesweit. Das gab es schon 2005, als der SSW eine rot-grüne Minderheitenregierung tolerieren wollte.

derStandard.at: Wo steht der SSW politisch?

Hopmann: Der SSW ist eher links, an nordischen Wohlfahrtsmodellen orientiert. Der SSW hat aber auch den Anspruch, die dänische Minderheit als Ganzes zu vertreten. Das heißt natürlich auch, dass man relativ pragmatisch Politik macht. Er hat kein ideologisches Modell wie die Sozialdemokratie oder die Christdemokraten. Das heißt aber nicht, dass er keine Meinung hat - er versteht sich nur in erster Linie als Interessenvertreter einer bestimmten Region und bestimmter Bevölkerungsgruppen, der dänischen und auch der friesischen Minderheit. Der SSW ist also keine Partei, die sich einfach in ein klassisches Links-rechts-Schema einordnen lässt.

Im Grenzland ist der SSW im Übrigen eine große Partei, stellt in Flensburg zum Beispiel auch den Oberbürgermeister. Nach Mitgliederzahlen ist er auch die drittgrößte Partei in Schleswig-Holstein. Der SSW ist also im Grenzland, im Landesteil Schleswig, in der Lokalpolitik viel präsenter, als man es anderswo wahrnimmt. Auf dem Radar der Bundesrepublik taucht er nur alle vier, fünf Jahre auf, wenn die Landtagswahlen anstehen.

derStandard.at: Ministerpräsident Peter Harry Carstensen von der CDU tritt nicht mehr an, die Umfragen sind eher mäßig, man könnte die Macht verlieren. Was ist so schlecht gelaufen bei der CDU?

Hopmann: Die CDU hatte zunächst ja einen ganz anderen Spitzenkandidaten, nämlich Christian von Boetticher. Der trat zurück, weil er eine Affäre mit einer 16-Jährigen hatte. Sein Nachfolger, Jost de Jager, ist einfach nicht so bekannt, er hatte Schwierigkeiten, zu den Menschen durchzudringen. Es gibt auch das Argument, dass es eine Reaktion auf das Weiterwursteln der schwarz-gelben Koalition im Bund ist. Und dann ist die Schwäche des einen auch die Stärke des anderen: Torsten Albig, der Kieler Oberbürgermeister und Kandidat der SPD, ist momentan sehr populär. Er kommt gut an.

derStandard.at: Populär ist derzeit auch die Piratenpartei, in Umfragen kommt sie auf neun Prozent. Wie sind sie einzuschätzen?

Hopmann: Das ist ein Bundestrend, der sich in Schleswig-Holstein fortsetzt. Der Spitzenkandidat der Grünen sagte, dass es ganz besonders schwierig ist, gegen die Piraten Wahlkampf zu führen. Das sei wie mit einem Pudding zu boxen. Sie haben Standpunkte wie Transparenz oder mehr Bürgerbeteiligung, wie das genau aussehen soll, ist vielen aber unklar. Es ist schwierig zu sehen, wo die Piraten jetzt genau stehen.

derStandard.at: Welche Koalitionen sind nach der Wahl denkbar?

Hopmann: Rein rechnerisch ist natürlich eine Große Koalition aus SPD und CDU möglich. Das halte ich aber für unwahrscheinlich, weil die letzte Große Koalition 2009 im Krach geendet hat. SPD und CDU werden sich bemühen, eine Neuauflage zu umgehen. Die können teilweise noch nicht einmal auf persönlicher Ebene miteinander reden. Rechnerisch ist auch eine Jamaika-Koalition möglich, also CDU-Grüne-FDP. Das halte ich aber auch für unwahrscheinlich. Es müsste auch die FDP in den Landtag kommen, was auch nicht fixiert ist.

derStandard.at: Die Grünen sind ja recht fixiert auf eine Koalition mit der SPD.

Hopmann: Ja, und der CDU-Chef hat noch zusätzlich vor Koalitionen aus drei Parteien gewarnt.

derStandard.at: Dann bleibt ja nicht mehr viel übrig.

Hopmann: Na ja, vor der Wahl ist nicht nach der Wahl, da kann noch viel passieren. Übrig bleibt auch noch die sogenannte "Dänen-Ampel". Das wäre dann SPD-Grüne-SSW. Wenn ich mein Geld auf etwas setzen sollte, dann halte ich diese Koalition für das Wahrscheinlichste, sie sind sich politisch noch am nächsten. Wenn der SSW die Grünen und die SPD unterstützt, dann hat das auch damit zu tun, dass diese beiden Parteien die dänischen Schulen wieder zu 100 Prozent unterstützen wollen. Strategisch halte ich es im Übrigen für nicht besonders klug von der CDU, mit ihrer Negativkampagne gegen den SSW einen potenziellen Koalitionspartner so vor den Kopf zu stoßen, denn so schränkt die CDU ja vor allen Dingen ihre eigenen Machtoptionen ein.

derStandard.at: Bis jetzt war der SSW noch nie in der Regierung. Gibt es hier eine Art Regierungsgeilheit, wenn man so will?

Hopmann: Nein, das ist eher umgekehrt. Meine Lesart ist, dass der SSW eigentlich lieber nicht in die Regierung möchte. Er präferiert an sich ein Tolerierungsmodell, wie das in Skandinavien üblich ist. Das bedeutet, es gäbe eine Minderheitenregierung, die dann im Parlament für Gesetze nach Mehrheiten suchen muss. Der SSW würde demnach einen SPD-Ministerpräsidenten zwar wählen, aber nicht formal in die Regierung eintreten.

derStandard.at: Wie sieht es mit der schleswig-holsteinischen FDP aus?

Hopmann: Derzeit eher gut. Das liegt aber einzig und allein an Wolfgang Kubicki, dem Spitzenkandidaten. Die FDP scheint wohl wieder in den Landtag hineinzukommen, er kommt sehr gut an. Scheitert die FDP, wird das die Krise der Bundes-FDP nur verstärken, was auch Konsequenzen für die schwarz-gelbe Bundesregierung haben kann. So oder so - die Wahl am Sonntag wird spannend. (Florian Gossy, derStandard.at, 3.5.2012)