Andreas Fritsch, hauptberuflicher Fragensteller: "Beim Anblick eines ...

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... Säbelzahntigers schalteten unsere Vorfahren auf fight or flight, also kämpfen oder flüchten. Dieselben Mechanismen tragen wir immer noch in uns - auch im Umgang mit der Börse."

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Thomas Vittner, Andreas Fritsch:
Börsenerfolg beginnt im Kopf

Börsenbuchverlag, 220 Seiten, 30,70 Euro
Erscheinungstermin: Juni 2012

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80 Prozent der Finanz-Entscheidungen sind emotionsgetrieben. Kein Wunder, dass Stress, Rachegelüste und Ähnliches maßgeblichen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg an den Märkten haben. Mentaltrainer, Wirtschaftscoach und Buchautor Andreas Fritsch spricht im Interview mit derStandard.at von missglückten Anlageversuchen und erklärt, wie man von der Gefühlswelt profitieren kann und was schon unser früher Verwandter aus dem Neandertal instinktiv über die Börse wusste.

derStandard.at: Sind Sie selbst in Aktien investiert?

Fritsch: Ja. Mit vielen Gewinnen, aber auch vielen Verlusten. Ich habe mich dabei ertappt, wie ich mein eigenes Verhalten dabei immer mehr beobachtet habe - einer der Gründe, warum ich mich heute aus einer Metaebene heraus mit Anlegerverhalten beschäftige. Zudem durchleben wir gerade eine sehr spannende Zeit, in der Anlageentscheidungen besonders bewusst getroffen werden sollen. Das heißt, im Moment auf Züge aufzuspringen und zu euphorisch zu sein halte ich für ebenso gefährlich, wie völlig die Finger von den Märkten zu lassen. So gibt es immer noch große Chancen, aber natürlich auch Risiken, die man nicht unbedingt einschätzen kann. Sollte ich also eine Empfehlung abgeben, würde ich jemandem, der sich nicht so gut in dem Universum Börse auskennt, lieber Fonds empfehlen.

derStandard.at: Folgt der Anleger eher dem Verstand oder dem Bauchgefühl?

Fritsch: Lassen Sie es mich so formulieren: Anleger, die mit weniger Erfahrung in die Märkte einsteigen, sollten mit sehr viel System arbeiten und nicht auf ihr Bauchgefühl hören. Bauchgefühl ist etwas für den Anleger, der auf viele Jahre Börsen-Erfahrung zurückblicken kann, bzw. für Menschen, die in einem relativ entspannten Gemütszustand einen guten Zugang zu ihrem Unterbewusstsein und zu ihren Erfahrungen haben.

derStandard.at: Welche Emotionen können Investitionen beim Anleger auslösen?

Fritsch: Alle, beginnend bei Neugier über Angst, Panik, Euphorie, Neid bis hin zu Geiz und Rachegelüsten.

derStandard.at: Rachegelüste gegenüber wem?

Fritsch: Rachegelüste gegenüber den Märkten. Selbst professionelle Investoren überkommen bei einem Spekulationsverlust Gefühle wie "Dir werde ich's zeigen, lieber Markt, das Geld hole ich mir wieder". Gefühle, die eigentlich nur zwischen Menschen entstehen können, passieren tatsächlich auch zwischen Anleger und Markt. Ein wesentlicher Faktor bei Marktentscheidungen ist immer, wie stark die Emotionen wirken. Bin ich total im Stress, kann ich von 100 Prozent meines Wissens maximal zehn Prozent nutzen.

derStandard.at: Wie wirken sich überstarke Emotionen aus?

Fritsch: Übertriebene Angst kann dazu führen, nicht nachzukaufen, übertriebene Euphorie und zu großer Mut wiederum dazu, zu früh nachzukaufen bzw. Verluste nicht zu realisieren. Emotionen sind ein unglaublich starker Treiber in Anlageentscheidungen. Man nimmt an, dass bei aller Rationalität und Logik, die man dem Börsen-Geschehen andichtet, 80 Prozent der Entscheidungen emotionsgetrieben sind.

derStandard.at: Gemeinsam mit Thomas Vittner haben Sie für ihr neues Buch die Motive von Tradern untersucht und welche Verhaltensmuster sich wie auf den Börsenerfolg auswirken. Mit welchem Ergebnis?

Fritsch: Das Ergebnis war recht überraschend: Das analytische Denkvermögen korreliert nämlich nicht signifikant mit dem Börsenerfolg. Jemand, der fähig ist, sehr strukturiert und logisch zu denken, kann, muss aber nicht erfolgreich sein. Menschen, die beispielsweise sehr mutig sind, können, wenn sie eine bestimmte Beharrlichkeit mitbringen, extrem erfolgreich sein. Beharrlichkeit führt dazu, dass beispielsweise der Mut genau dann eingesetzt wird, wenn man ihn braucht. Beharrlichkeit fördert auch die relativ klare Bewertung der Rahmenbedingungen. Ein wichtiger Faktor, denn wie wir wissen, reagieren viele Anleger panisch, wenn die Märkte einbrechen.

derStandard.at: Wie das Amen im Gebet in Krisenzeiten ...

Fritsch: Wer in der heutigen Zeit an der Börse investiert, sollte sich ganz klar einen Zielkorridor stecken und auch wissen, zu welchem Zweck er investiert. Es klingt unglaublich, aber diese beiden Punkte vergessen leider viele. Es ist ein Unterschied, ob ich zwölf Monate, drei oder 30 Jahre lang investieren will. Tätige ich heute Investitionen, die ich langfristig sehe, und verkaufe aufgrund von Erdbeben oder Tsunami, wäre das die schlimmste aller Entscheidungen. Ich rate dem Anleger, in diesem Augenblick für einige Momente die Augen zu schließen bzw. darüber nachzudenken, nachzukaufen, weil die Aktien in dieser Situation eher geringer bewertet und fundamental nach wie vor sehr wertvoll sein können.

derStandard.at: Gibt es so etwas wie ein Ranking der hinderlichsten Emotionen?

Fritsch: Ein Ranking ist immer situationsbedingt und kommt auf die Persönlichkeit des Anlegers an. Die "Klassiker" wären aber Angst, Gier und Panik.

derStandard.at: Derzeit findet die zweite Auflage des Bawag-Prozesses statt. Was geht in einem Wolfgang Flöttl, der Millionen verspekuliert und dann noch einmal nachlegt, vor?

Fritsch: Häufig sind bei Spekulationsverlusten Emotionen im Spiel, die man auch im Casino beobachten kann: Aus der Furcht heraus, Geld verloren zu haben, tendieren Menschen dazu, es sich wieder zurückholen zu wollen. Panik und Furcht treiben sie, nicht die Ratio. Sie treffen Entscheidungen, indem sie die Realität erstaunlich stark ausblenden. Häufig steht dahinter der Anspruch "Der Blitz kann kein zweites Mal mehr einschlagen". Das ist allerdings oft ein fataler Irrtum, denn die Wahrscheinlichkeit, ein zweites Mal denselben Fehler zu begehen, ist gar nicht so gering. In der Psychologie gibt es dafür den Begriff "Intentional Blindness", also beabsichtigte Blindheit.

derStandard.at: Der sprichwörtliche Tunnelblick?

Fritsch: Richtig. In einer Gefahrensituationen klappen wir unsere Scheuklappen zu, und je höher der Stress, desto größer der Tunnelblick. Im Grunde verhalten wir uns wie in der Steinzeit. Begegneten unsere Vorfahren einem Säbelzahntiger, schaltete der Organismus auf den Ausstoß von Adrenalin und Cortisol. In Sekundenbruchteilen entschieden sie zwischen "fight or flight", also kämpfen oder flüchten. Dieselben Mechanismen tragen wir immer noch in uns - auch im Umgang mit der Börse.

derStandard.at: Könnte Disziplin ein Gegengift sein?

Fritsch: Anleger, die stark zahlen-, fakten- und datenorientiert sind, bringen nicht selten auch disziplinierte Charaktermerkmale mit. Das Problem ist aber, dass gerade die Menschen, die linksgehirnhälftig - also eher logisch - veranlagt sind, mitunter Informationen ausblenden, die direkt vor ihrer Nase liegen. Interessanterweise verengt jemand, der normalerweise sehr logisch und systematisch denkt, seinen Blick in Stresssituationen oft sehr viel stärker als andere Menschen, die nicht so strukturiert denken. Das kann dazu führen, dass eine vermeintliche Disziplin wiederum zu Fehlentscheidungen beiträgt. Je mehr ich Stresssituationen meiden kann, umso besser kann ich auch in Krisensituationen einen kühlen Kopf bewahren und gute Entscheidungen treffen. Ruhe und Gelassenheit sind eigentlich die zwei wichtigsten, wenn auch gleichzeitig oft die allerschwierigsten Ratschläge bei Börsen-Entscheidungen.

derStandard.at: Das heißt: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

Fritsch: Ja, bei einem gerüttelt Maß an Ruhe und Gelassenheit. Gelingt es dem Anleger, sich zu entspannen, kann er in einem nächsten Schritt die Gefahrensituation analysieren.

derStandard.at: Der da wäre?

Fritsch: Der Anleger muss mit der Gefahr "arbeiten", er muss sich Gegenmaßnahmen zur Eindämmung der Krisensituation überlegen. Welche Mittel kann ich nutzen, welche Netzwerke stehen mir zur Verfügung, welche beratenden Profis, Freunde und Kollegen kann man in Krisensituationen nutzen? Das setzt allerdings voraus, dass der Anleger sich diesen Plan bereits in einer stressfreien Phase erarbeitet hat. Ein Rettungsboot zu bauen, während das Schiff untergeht, ist bekanntlich einigermaßen unklug. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 10.5.2012)