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Wolfgang Schäuble

Foto: AP/Logghe

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble steht als Nachfolger von Jean-Claude Juncker als Chef der Eurogruppe fest. Sehr bald nach den Wahlen am Sonntag wird der französische Präsident grünes Licht geben, egal ob er Nicolas Sarkozy oder Francois Hollande heißen wird. Der Konservative hat der deutschen Kanzlerin intern bereits eine Zusage gegeben, aber auch sein sozialistischer Gegenspieler wird gegen Schäuble nach Standard-Informationen keinen Einwand erheben: "Es gibt einen Deal", heißt es im EU-Ratsvorsitz. Europas Sozialdemokraten bestätigen Absprachen zwischen Hollande und Merkel, wonach es von Berlin Zugeständnisse beim Fiskalpakt geben wird, indem Wachstumsinitiativen gesetzt werden.

Der 17. Mai, Christi Himmelfahrt, wird für Schäuble ein großer Festtag. Da wird ihm in Aachen der Karlspreis verliehen, eine Auszeichnung für Menschen, die "den Gedanken der abendländischen Einigung in politischer, wirtschaftlicher und geistiger Beziehung gefördert haben", wie es in den Statuten definiert ist.

Dieser renommierte Preis ist wie ein öffentlicher europäischer Ritterschlag. Aachen, die Stadt Karls des Großen, bietet dafür im Krönungssaal des Rathauses eine grandiose Kulisse.

Schäuble tritt in eine Reihe mit früheren Preisträgern wie Helmut Kohl, Václav Havel, Bill Clinton, Winston Churchill, François Mitterrand und Henry Kissinger ebenso wie mit Konrad Adenauer, Jean Monnet, George Marshall (Marshall-Plan; Anm.) oder Franz Vranitzky, dem einzigen Österreicher, der diese Auszeichnung je erhalten hat.

Politische "Krönung"

Zwei Tage vor diesem Ereignis könnte Schäuble in Brüssel eine andere Art der politischen "Krönung" bevorstehen, wenn sich EU-Finanzminister und Eurogruppe regulär in Brüssel treffen: die Wahl zum Nachfolger von Jean-Claude Juncker als Chef der Eurogruppe - wenn alles gut läuft. Dass Schäuble Eurochef wird, steht nach Informationen des Standard aus Kreisen der EU-Ratspräsidentschaft offenbar fest: "Das ist gelaufen, es gibt einen Deal", heißt es in Brüssel, aber auch in mehreren Hauptstädten. Das sei Mitte der Woche am Rande des Ecofin besprochen worden.

Ein ganzes Personalpaket steht an. Wenn ein Deutscher die Eurogruppe leitet, wäre der Weg frei für Luxemburgs Notenbanker Yves Mersch zu einem frei werdenden Direktorsposten in der Zentralbank (EZB), bisher von einem Spanier gehalten. Spanien soll dann den Chef des künftigen Europäischen Währungsfonds (ESM) stellen, ein Franzose von den Europartnern für den Posten des Chefs der Entwicklungsbank (EBRD) in London unterstützt werden.

Hollande "pragmatisch"

Die größte Unbekannte war in diesen Kalkülen bisher Frankreich, ein Euroschlüsselland, wo Sonntag ein neuer Staatspräsident gewählt wird. Amtsinhaber Nicolas Sarkozy hat Kanzlerin Angela Merkel in Bezug auf Schäuble bereits eine Zusage gegeben, aber öffentlich noch nicht bestätigt.

Bis vor wenigen Tagen gab es die Befürchtung, dass Sarkozys Gegenspieler François Hollande, der mit Berlin den Eurofiskalpakt nachverhandeln und um ein Wachstumsprogramm ergänzen will, zu Schäuble als Eurogruppenchef ein Veto einlegen könnte, wenn er Präsident wird. "Das wird er nicht tun, im Gegenteil", erklärt ein Diplomat dem Standard. Ein Ja zu einem Deutschen als Eurochef wäre eine perfekte Geste des sozialistischen Präsidenten, um mit Kanzlerin Angela Merkel von Anfang an zu einer konstruktiven Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zu kommen bzw. französische Wünsche zu promovieren.

Schäuble stark in Brüssel zu positionieren, damit das Eurokrisenmanagement funktioniert und eine "europäische Wirtschaftsregierung" aufgebaut werden kann, gehört zu den Top-Prioritäten der deutschen Kanzlerin.

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung arbeiten Kanzlerberater informell bereits intensiv mit Vertrauten Hollandes an Lösungen etwa im Streit um den Fiskalpakt. Hollande wird als "pragmatisch" eingeschätzt, beim EU-Gipfel Ende Juni könne es eine Einigung zum Pakt geben.

Bei Europas Sozialdemokraten wird das bestätigt: Hollande könnte mit Martine Aubry (Tochter von Ex-EU-Kommissionschef Jacques Delors) eine Parteilinke zur Premierministerin machen, selber eine Mitteposition einnehmen. Schäuble als Eurogruppenchef, der wie Delors seit Jahrzehnten überzeugter Anhänger der politischen Vertiefung der EU ist, wäre für ihn kein Schreckgespenst. Denn Hollande sieht sich ganz in der Tradition von zwei seiner Lehrmeister: einer hieß François Mitterrand, der andere Jacques Delors. So schließt sich der Kreis.(Thomas Mayer, DER STANDARD; 5./6.5.2012)