Ausgelassene Stimmung für Klassiker "Tommy".

Foto: English Theatre

Am Anfang, 1969, war das unbescheidene Konzeptdoppelalbum Tommy; dann, 1975, wurde selbiges in Filmform gegossen. Und schließlich, 1993, mutierte der Rockklassiker jener Band, die sich The Who nannte und zu diesem Zeitpunkt ein vor allem ehrwürdiger Teil der frühen Rockgeschichte geworden war, zum Musical, das allerdings immerhin die mitarbeitende Handschrift des Gitarristen/Komponisten Pete Townshend trug - jenes Herrn, dessen Feder Tommy zu einer Zeit entsprungen war, da eine energische Rockband in Finanznöten Emphase darauf verschwendete, bei Konzerten Instrumente und später gerne Hotelzimmer zu zerlegen.

Schon 1993, bei der Musicalgeburt, hatte man also besser nicht an den betäubenden Live-Sound von The Who gedacht und besser auch jene unwirschen Akkordpointen verdrängt, die Townshend mit seiner windmühlartigen Spieltechnik bei Konzerten aus dem Instrument prügelte. So etwas konnte Musical nicht liefern. Ebenso empfahl sich womöglich, auch den Soundtrack zum Film von Ken Russell nicht zu sehr präsent zu haben. Elton John war da als Local Lad in seinem buntesten Element, Tina Turner eine gewichtige Acid Queen, und Tommy war ja Who-Sänger Roger Daltrey.

Allerdings, das Tommy-Musical wurde ein Erfolg. Nach seiner Uraufführung am 22. April 1993 am New Yorker Broadway im St. James Theatre blieb es lange am Spielplanleben, kam auf stolze 899 Aufführungen. Und bis heute tauchte es immer wieder als Tantiemenbringer auf, wie auch zuletzt in Frankfurt. Und siehe da: Im kleinen, aber entzückenden English Theatre erweist sich die Version von Regisseur Ryan McBryde als höchst respektable und dynamische Umsetzung der Geschichte von Tommy Walker.

Selbiger ist seit seiner Kindheit taub, stumm und blind, traumatisiert durch den Mord seines aus dem Krieg heimkehrenden Vaters an dem Freund der Mutter. Tommy entdeckt allerdings sein Talent am Flipperautomaten, wird zum weltmeisterlichen Pinball Wizard und anschließend zum Messias befördert.

Tadelloses Ensemble

In der Frankfurter Version, die nächste Woche in der Wiener Stadthalle zu sehen sein wird (9. und 10. Mai), sieht man zunächst eine in ein käfigartiges Gebilde eingezwängte Figur. Tommy ist offenbar einer unfreundlichen psychomedizinischen "Obhut" überantwortet worden; alle Erlebnisse sind folglich nur Produkte seiner Fantasie. Doch wenngleich auch das Ambiente der Inszenierung von Düsternis geprägt ist, gelingt es der Regie, in Verbindung mit filmischen Elementen schillerndes Bildertheater zu entwerfen.

Und: Ein tadelloses Ensemble sorgt für jenes Tempo, das eine durchgeknallte Geschichte braucht. Außerdem ist Leo Miles als Tommy über jeden Zweifel erhaben. Stimmlich hat er in der Höhe jenes gewisse Etwas, das für Intensität sorgt. Und der Figur verleiht Miles ein passend comichaftes Gepräge. Und wäre dies alles nicht: Es tut womöglich gut, einfach wieder Klassiker wie The Acid Queen, Pinball Wizard oder I'm Free zu hören. (Ljubiša Tošić aus Frankfurt, DER STANDARD, 5./6.5.2012)