Wien/Kiew - Die Diskussion um einen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in seinem Land ist in den Augen des ukrainischen Botschafters in Wien, Andrii Bereznyi, ein Versuch, das Turnier für politische Zwecke zu missbrauchen: Über die Behandlung von Julia Timoschenko werde einseitig berichtet, sagte der Diplomat am Freitag. Die inhaftierte Oppositionsführerin werde als "europäische Revolutionsikone" wahrgenommen, doch das widerspreche der Faktenlage, so Bereznyi.

Unterdessen wies auch die ukrainische Justiz Vorwürfe zurück, wonach der ehemaligen Regierungschefin im Gefängnis Gewalt angetan worden sei. Gerichtsmediziner gaben an, dass fragliche Blutergüsse an Timoschenkos Körper nicht bei einem, wie von Kritikern behauptet, erzwungenen Transport in eine Klinik entstanden sein könnten. Generalstaatsanwalt Wiktor Pschonka deutete an, dass sie sich die Wunden auch selbst beigebracht haben könnte. Die Behörden schließen mittlerweile eine Zwangsernährung Timoschenkos nicht aus.

Medizinische Untersuchung

In der Zwischenzeit verschlechterte sich Medienberichten zufolge Timoschenkos Gesundheitszustand weiter. Die 51-Jährige leidet nach Angaben deutscher Ärzte an einem Bandscheibenvorfall. Außerdem trat sie vor zwei Wochen in einen Hungerstreik, "um darauf aufmerksam zu machen, dass sich die Ukraine von einem demokratischen Land in ein ‚Konzentrationslager‘ verwandle", wird Timoschenkos Tochter Jewgenija zitiert.

Am Freitag untersuchte der Chef der Berliner Universitätsklinik Charité, Karl Max Einhäupl, die Inhaftierte. Deutschland und Russland hatten angeboten, Timoschenko zur medizinischen Behandlung übernehmen zu wollen. Kiew lehnte aber ab, da "laut ukrainischer Gesetzgebung Inhaftierte im Land behandelt werden müssen", so der Botschafter in Wien, Bereznyi. (Milena Borovska /DER STANDARD, 5.5.2012)