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Sarkozy vor dem Eiffelturm.

Foto: REUTERS/Philippe Wojazer

Auf den ersten Blick haben amtierende Präsidenten in Frankreich gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Drei von vier haben es in der Geschichte der 1958 gegründeten Fünften Republik geschafft.

  • Charles de Gaulle wurde 1965 mit fast 56 Prozent der Stimmen gegen den Sozialisten François Mitterrand im Amt bestätigt.
  • Valéry Giscard d'Estaing scheiterte 1981 beim Versuch, weitere sieben Jahre im Elysée zu bleiben: Er verlor mit 48 Prozent gegen Mitterrand.
  • Dieser trat 1988 zu seiner Wiederwahl an und schaffte sie gegen Jacques Chirac problemlos mit 54 Prozent der Stimmen.
  • Der Gaullist Chirac musste bis 1995 warten, um ins Elysée einzuziehen, und kandidierte 2002 für eine zweite Amtszeit; diese Wahl gewann er gegen den Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen diskussionslos mit 82 Stimmenprozent.

Einzelne Politologen leiten daraus den Schluss ab, dass ein Amtsinhaber mit einem "präsidentiellen" Bonus ins Rennen um seine Wiederwahl ziehe. Er könne sich auf die Aura seiner Funktion abstützen, in zweiter Linie auch auf einen funktionierenden Inlandgeheimdienst, der ihn über die Stimmung im Land und die Sorgen seiner Landsleute auf dem Laufenden halte. Es ist bekannt, dass der ehemalige Polizeiminister Sarkozy über seinen heutigen Innenminister Claude Guéant ausführlich von diesen - naturgemäss vertraulichen - Erhebungen Gebrauch macht.

Wer das Schicksal von Wiederwahlkandidaten in der Fünften Republik nicht statistisch, sondern im politischen und gesellschaftlichen Kontext betrachtet, kommt allerdings zu einem etwas anderen Schluss. Ein amtierender Präsident geht zumindest auch mit einem Nachteil an den Start. Notorisch unzufrieden mit ihren "politiciens", wie sie ihre Politiker abschätzig nennen, sind sie stets für einen Wechsel zu haben - zumal in der fernen und ungeliebten Landeselite in Paris. Nicht zuletzt deshalb beschränkt sich François Hollande auf den simplen Wahlslogan "le changement maintenant" (der Wechsel jetzt), der in sich auf die Aufforderung erhält, den unopoulären Amtsinhaber in die Wüste zu schicken.

1974 verkörperte Giscard die - auch gesellschaftliche - Wachablösung nach der Gaullismus-Ära. Der proeuropäische Zentrumsdemokrat war damals erst 48-jährig und präsentierte sich als moderater Reformer, als die "trente glorieuses", die dreissig Boomjahre nach dem Krieg, zu Ende gingen und sich die Wirtschaftsprobleme mehrten. "Ich höre noch jetzt die Stimme des französischen Volkes, das uns den Wechsel verlangt", meinte er nach seiner Wahl.

Der Wechsel ist vor allem gefragt, wenn es dem Land schlecht geht. 1981 scheiterte Giscard unter anderem an der wachsenden Arbeitslosigkeit. Mitterand hielt ihm vor, in seiner Amtszeit 1,5 Millionen Arbeitslose "kreiert" zu haben - so wie sich jetzt Sarkozy gegen den Vorwurf verteidigen muss, an einer Million neuer "chômeur" schuld zu sein. Giscard jedenfalls verpasste die Wiederwahl gegen den Spitzenkandidaten der Linken - den einzigen Sozialisten, der in der 1958 gegründeten Fünften Republik ins Elysée eingezogen ist.

Auch wenn Giscard die Bestätigung im Amt nicht schaffte: Zeigen die drei anderen Fälle - de Gaulle, Mitterrand und Chirac - nicht, dass es Amtsinhaber dank ihrer Aura leichter haben? Nicht unbedingt.

  • De Gaulle, der "Retter Frankreich" im Zweiten Weltkrieg, der sich die Verfassung der Fünften Republik auf den eigenen Leib geschneidert hatte, ist ein Fall für sich. Als er 1965 im ersten Wahlgang "nur" 45 Prozent erhielt und zur Stichwahl antreten musste, fühlte er sich dadurch dermassen gedemütigt, dass er seine Kandidatur fast zurückzog. Obwohl der zweite Wahlgang dann natürlich nur mehr eine Formsache war.
  • Aus der Wiederwahl Mitterrands im Jahre 1988 kann Sarkozy auch keine Hoffnung schöpfen. Sein eigener Parteifreund Chirac scheiterte nämlich an dem Sozialisten, weil er sich in einem ähnlichen Dilemma befand wie der heutige Amtsinhaber: Der Neogaullist war 1988 eingeklemmt zwischen dem damals noch neuen Phänomen namens Jean-Marie Le Pen (11 Prozent) und dem Mittekandidaten Raymond Barre (13 Prozent). Wenn, dann ist Mitterrands Wiederwahl 1988 eher ein Argument gegen Sarkozy, der nun ebenfalls zwischen dem Front National und dem Zentrum hin und her gerissen ist.
  • Die Wiederwahl 2002 ist auch nur zum Schein ein Beleg, dass es Amtsinhaber leichter haben. Sie stand völlig im Zeichen von Jean-Marie Le Pen, der im ersten Wahlgang 16,8 Prozent der Stimmen erhielt und den Sozialisten Lionel Jospin (16,2 Prozent) damit sensationell aus dem Rennen warf. Da nun auch die Linke - obschon mit "zugehaltener Nase" - zur Wiederwahl Chiracs aufrufen musste, erhielt der höchst unpopuläre Präsident mehr als vier Fünftel der Stimmen und konnte weitere fünf Jahre - in der Zwischenzeit war die präsidiale Amtszeit verkürzt worden - in Amt und Würden bleiben.

Fazit: Auch wenn drei von vier Staatspräsidenten die Wiederwahl schafften, spricht das nicht für Sarkozy. Und bei näherer Betrachtung sogar eher gegen ihn. Denn seine eigene Amtszeit war selbst durch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit und seiner Unpopularität gekennzeichnet. Die Vorgängerbeispiele aus der Fünften Republik zeigen nur auf, was in solchen Fällen geschieht. (Stefan Brändle aus Paris, derStandard.at, 06.05.2012)