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Boris Tadic an der Urne.

Foto: AP/Vojinovic

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Abstimmung in Belgrad.

Foto: Marko Drobnjakovic/AP/dapd

Belgrad - Serbien dürfte nach der Parlamentswahl am Sonntag eine neue alte Regierung um die Demokraten (DS) bekommen, auch wenn die ersten Ergebnisse auf einen Sieg der Serbischen Fortschrittlichen Partei (SNS) des ehemaligen Ultranationalisten Tomislav Nikolic hindeuten. Die Entscheidung, in welche Richtung sich das Land künftig bewegen wird, liegt aber nicht nur bei den beiden größten Parteien, sondern auch beim bisherigen Vizepremier und Innenminister, dem Sozialistenchef (SPS) Ivica Dacic. Er ließ bereits in der Nacht wissen, dass er zuerst mit dem bisherigen Koalitionspartner, der DS von Präsident Boris Tadic, sprechen will.

Belgrader Analysten meinten am Montag, dass auch Tadics angestrebter Wahlsieg in der Stichwahl um das Präsidentenamt am 20. Mai gegen Nikolic entscheidend von den Regierungsgesprächen abhängen dürfte. Die SPS hatte am Sonntag ihre Stimmenzahl verdoppelt. Im 250-Sitze-Parlament wird die Partei künftig sogar mit 45 Sitzen vertreten sein. Bisher waren es nur 15. "Nichts wird mehr wie bisher sein", hatte Dacic erklärt. Er erhob unterdessen auch den Anspruch auf den Premiersposten. Eine neue Regierung sei sowohl ohne die DS wie auch die SNS, nicht aber ohne Dacics Sozialisten möglich, meint der Belgrader Soziologe Srecko Mihailovic.

Regierung der "nationalen Einheit" undenkbar

Laut der Tageszeitung "Blic" gibt es auf Basis der Wahlergebnisse derzeit zwei realistische, eine mögliche und eine unrealistische Variante für die Regierungsbildung. Am realistischsten ist laut der Zeitung eine Koalition der Demokraten mit den Sozialisten, der bisher oppositionellen Liberaldemokratischen Partei (LDP) des ehemaligen Vizepremiers Cedomir Jovanovic (20 Parlamentssitze) und den Minderheitenparteien. Die Regierungsgespräche müssten vor der Stichwahl absolviert werden, um Tadic eine breitere Unterstützung zu sichern, meinte das Blatt.

Als völlig unrealistisch bezeichnete die Tageszeitung eine Große Koalition zwischen den Demokraten und der SNS. Eine Regierung der "nationalen Einheit" sei undenkbar. Die Demokratische Partei habe nicht die Absicht, die Beitrittsgespräche mit der EU der SNS zu überlassen. Nicht gänzlich ausgeschlossen wurde eine Koalition der SNS mit den Sozialisten und der nationalkonservativen Demokratischen Partei Serbiens (DSS). Eine Einigung zwischen der proeuropäischen SNS und der DSS, einem Gegner der EU-Annäherung, hält das Blatt für kaum denkbar. Sonja Licht vom Thinktank Belgrade Fund for Political Excellence erwartet eine Regierung in ähnlicher Zusammensetzung wie bisher. "Serbien braucht eine starke, entschlossene politische Elite, die es zwischen Skylla und Charybdis im EU-Annäherungsprozess führt", so Licht.

Wirtschaftsreformen

In der Tat hat das Land gar keine Zeit zu verlieren, will es noch vor Jahresende den Termin für die Aufnahme der EU-Beitrittsgespräche erhalten. Die wichtigsten Voraussetzungen dafür sind weitere Fortschritte im Dialog mit der Regierung des Kosovo, konkret geht es um die Fragen der Telekommunikation und der Stromversorgung. SNS-Chef Nikolic hat im Wahlkampf kein Wort über den laufenden Dialog verloren. Er hat auch nicht angedeutet, ob er diesen weiterführen würde.

Energische Maßnahmen wird die neue Regierung auch im Wirtschaftsbereich setzen müssen, wo ihr Spielraum nach Meinung des Politologen Zoran Stojiljkovic äußerst eng ist. Es gilt, die Mehrwertsteuer zu erhöhen und die öffentlichen Ausgaben zu senken, um das Budgetdefizit bis Jahresende auf 4,75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abzubauen. Wirtschaftsexperten setzen sich so gut wie ausnahmslos auch für eine rasche Wiederaufnahme der Anfang des Jahres unterbrochenen Gespräche mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein. Gerade der Königsmacher Dacic hatte sich im Wahlkampf aber dagegen ausgesprochen. Wie die bei gut 23 Prozent liegende Arbeitslosigkeit kurzfristig abzubauen wäre, ist derzeit nicht abzusehen.

EU-Annäherung

Schon vor dem wirklichen Start der Regierungsgespräche steht fest, dass unabhängig davon, welche der beiden führenden Parteien das Sagen haben wird, die Wunschliste der kleineren Partner zu beachten sein wird.

Die Entscheidung Tadics, eine Koalition mit den Sozialisten, der Partei des früheren jugoslawischen und serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, einzugehen, stellte vor vier Jahren einen regelrechten Schock für die proeuropäische Öffentlichkeit Serbiens dar. Die SPS erwies sich unterdessen allerdings als zuverlässiger Regierungspartner, Dacic selbst als einer der erfolgreichsten Minister. Mit der Festnahme des Haager Angeklagten Radovan Karadzic und Ratko Mladics beseitigte er als Innenminister einige der jahrelang größten Hindernisse im EU-Annäherungsprozess Serbiens. (APA, 7.5.2012)