Der Muttertag lauert in der Ecke. Ich war ja immer schon gespannt, ob man, wenn man selber Mutter ist, sich sehr darauf freut, ausflügelnd durch Attraktionen zu pilgern, in überfüllten Lokalen zu essen, meistens zu einer Unzeit wie zum Beispiel halb 12 oder 14.30 Uhr, und das in einem Restaurant in der B- oder C-Kategorie, weil man viel zu spät an eine Reservierung gedacht hat. Die Stimmung ist angespannt, und die Geschenke tragen alle die Aufschrift "Last-Minute-Notnagel".
Irgendein muffiger Teenager zum endgültigen Vernichten der guten Laune ist bei so etwas auch immer dabei, entweder war man das selber, oder es ist jetzt eben der Neffe.
Und ich stelle fest: Nein, ich freue mich nicht! Das Gedicht des Dreijährigen für mich, das er im Kindergarten eingetrichtert bekommt, sagt er seit einer Woche ununterbrochen, ohne Pause, und zwar dauernd vor sich hin. Die ersten Momente der Rührung sind da schon lange abgefrühstückt, spätestens seit er zu variieren begonnen hat, etwa mit "Kacki-Mami" und "Lulu-Danke". Ich denke, es täte uns allen gut, wenn er es dann am Sonntag wieder vergisst. Der Rest der Familie schiebt sich gegenseitig die Schuld zu, wer dieses Mal zu deppert gewesen sein könnte, rechtzeitig irgendwo was zu reservieren. Ich verhalte mich still und warte ab, bis sie sich wie immer auf mich geeinigt haben, die das erledigen hätte sollen. Wieder mal typisch und so.
Die Frequenz meiner Stimme wurde ausgelöscht
Mein Vorschlag, einfach saugemütlich daheim zu grillen beziehungsweise am Vortag oder an jedem anderen Tag des Jahres herrlich Muttertag zu feiern - oder wir fliegen drei Wochen nach Mauritius, ich nehme einen Kredit auf und lade alle ein -, wurde nicht gehört. Schade. Das liegt daran, dass in meiner Familie die Frequenz meiner Stimme ausgelöscht wurde. Nichts Genetisches, das ist auch bei Schwagers und Co. so. Das stellt sich ein, wenn man mit uns in Kontakt kommt. Ich bin stumm. Also nicht Mauritius.
Was wird sein? Alles ist zu weit, zu ausgebucht, zu angefahren oder sonst wie zu oder überhaupt zu. Wir sitzen also in einem Strandbadbuffet, stellen uns um Berner Würstel (un-bio) und Pommes frites (genmanipuliert) an, die Kinder sind laut und lästig, haben es aber halbwegs lustig, bis auf die Tatsache, dass sie öfter als sonst angeschnauzt werden, der Stress der Erwachsenen, man muss das verstehen. Die Geschenke sind wie immer, ab und zu erkennt man die selber verschenkte Weihnachts-Bonbonniere wieder, was soll's. Der Partner hat volle Kanne vergessen, wenigstens Blumen zu besorgen, was einen in den eigenartigen Schizo versetzt, einerseits unheimlich gekränkt zu sein, obwohl es einem andererseits wirklich wurscht ist. Egal, der Tag wird auch zu Ende gehen, die Stunden sind bald abgespult.
Am nächsten Tag - wie immer - die Stunde der Ehrlichkeit, man gesteht allen, wie schrecklich das war und dass man es nächstes Jahr einfacher und gemütlicher machen wird. Versprochen, ja, ganz ehrlich. Not.
So. Ich erkundige mich jetzt mal nach Flügen, vielleicht gibt es ja eine Chance zu entkommen ... (Heidi List, derStandard.at, 7.5.2012)