Die Entwickler von "Shadowrun Returns" freuen sich über das Vertrauen ihrer Fans und bedanken sich auf Youtube bei ihnen.

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Die Videospielbranche ist in Aufbruchstimmung. Grund dafür sind nicht wiederkehrende Rekordverkaufszahlen von Blockbustern wie "Call of Duty", sondern ein neues Finanzierungsmodell namens Crowdfunding, bei dem die Konsumenten interessante Projekte gemeinsam vorfinanzieren können. Die bekannteste dieser Community-Plattformen ist Kickstarter, mehr als 20.000 Projekte (vom Mini-Satelliten bis zur E-Paper-Uhr) wurden seit der Gründung 2008 erfolgreich von privaten Kleininvestoren finanziert und über 170 Millionen US-Dollar umgesetzt.

Das hat nun auch bekannte Games-Entwickler wachgerüttelt, die sich mit steigenden Produktionskosten konfrontiert sehen. Denn um heute ein Werk für PC oder Konsole umzusetzen, braucht es mittlerweile selbst für Download-Games potente Geldgeber. Das führt zu zwei Problemen: Einerseits lassen sich dadurch nur Projekte umsetzen, von denen die Investoren und deren Marketingexperten überzeugt sind. Und zum anderen geben Entwickler für aussichtsreiche Deals in vielen Fällen ihre Unabhängigkeit auf. Durch Crowdfunding besteht die Chance, eigene Ideen verfolgen und dabei unabhängig bleiben zu können.

Erfolgsmodell

Gut 40 Prozent der Kickstarter-Projekte werden laut den Betreibern durchfinanziert. Bekanntestes Erfolgsbeispiel der Szene ist das nächste "Point-and-Click-Adventure" von Double Fine. Angeführt von Branchenguru Tim Schafer ("Day of the Tentacle", "Full Throttle", "Grim Fandango") konnte das Team sein selbst gestecktes Ziel von 400.000 US-Dollar um das Achtfache übertreffen. 87.142 Geldgeber stellten in Summe über 3,3 Millionen Dollar auf die Beine und sorgten dafür, dass Double Fines nächster Streich in mehreren Sprachen für Windows, Mac, Linux, iOS und Android erscheinen wird.

Ähnlich glücklich können sich die Schöpfer der Rollenspielfortsetzung "Wasteland 2" schätzen. Über 60.000 Unterstützer legten für die Truppe von inXile Entertainment rund um Produzent Brian Fargo ("Bard's Tale", "Fallout 1 and 2", "Baldur's Gate") knapp drei Millionen Dollar zusammen. Das Spiel soll nun in den nächsten zwölf Monaten für Windows, Mac und Linux umgesetzt werden. Mit dem taktischen, rundenbasierten Sci-Fi-Spiel "Shadowrun Returns" konnte Entwickler Harebrained Schemes ebenfalls einen Erfolg feiern und strich gut 1,8 Millionen Dollar ein. Und die Neuauflage des pannenreichen Playboy-Traums "Leisure Suit Larry" konnte das auf 500.000 Dollar angesetzte Budget ebenfalls spielend aufstellen. Aber auch kleinere, gewagtere Unterfangen finden Unterstützer. Bestes Beispiel ist der Shooter "Redux: Dark Matters" für Segas letzte und 2001 eingestellte, aber nach wie vor "kultige" Konsole Dreamcast.

Vertrauen der Nische

Gemein haben diese Vorzeigeprojekte den Nostalgiefaktor. Pioniere der Industrie richten sich gezielt an die Spieler der ersten Stunde und finden hier ein Publikum, das durch aktuelle Produktionen nicht oder zumindest nicht zur Gänze zufriedengestellt wird.

Es sind nicht Millionen Spieler, doch immerhin zehntausende, die bereit sind, etwas im Vorfeld zu kaufen und dann Vertrauen in die Kreativität der Schöpfer zu legen. Doch für die durchschnittlich 15 Dollar erhält man mehr als ein Spiel oder einen Download-Code. Man erkauft sich das Gefühl, Teil eines Projekts zu sein, darf die Entwickler während des Entstehungsprozesses begleiten, wird Fan und Investor zugleich.

Risiko

Die Entwickler schaffen sich damit bereits im Vorfeld der Veröffentlichung eine treue Gemeinde. Geht alles gut, müssen sie zum Start keinen Konsumenten mehr nachlaufen, um zu überleben. Im Gegenteil: Jedes danach verkaufte Werk ist ein Bonus. "Ihnen (Fargo und Schafer) ist es gelungen, vorab eine treue Fangemeinde aufzubauen. Wenn die Spiele herauskommen, werden sie viel Mundpropaganda machen", sagt Analyst Michael Pachter von Wedbush Morgan Securities.

Der gemeinschaftlich gestützte Traum ist allerdings nicht ohne Risiko. Kickstarter und dessen Finanzdienstleister Amazon streichen zwar nur bei erfolgreicher Finanzierung eine kumulierte Provision von rund acht Prozent ein, doch übernehmen die Plattformbetreiber auch keinerlei Haftung für fehlgeschlagene Projekte. Sollte "Leisure Suit Larry" etwa keinen neuen Höhepunkt erleben und etwa Opfer einer Fehlplanung werden, hat das Studio damit zu rechnen, selbst für den Schaden aufkommen zu müssen.

Kein Ersatz, aber eine Alternative

Nicht nur deshalb ist davon auszugehen, dass Kickstarter herkömmliche Videospiel-Finanzierungen über Herausgeber nicht ersetzen wird. Doch es könnte sich, sofern die ersten ambitionierteren Unterfangen Früchte tragen, als ernst zu nehmende Alternative etablieren. "Blockbuster-Games kosten heute bis zu 100 Millionen Dollar. Kickstarter stellt damit keine Alternative für Großprojekte dar", betont Pachter. "Was Schafer und Fargo erreicht haben, ist jedoch phänomenal. Es gibt für Hersteller kleiner Games nun eine echte Alternative."

Speziell für kleinere Games, etwa für mobile Plattformen, wächst zurzeit ein weiteres Crowdfunding-Portal heran. Die erst 2011 von Geoff Gibson (DIYGamer.com) gegründete Seite 8-Bit-Funding hat sich auf die gemeinschaftliche Finanzierung von Indie-Games spezialisiert. Die Budgets rangieren hier zwischen ein paar hundert und bis zu 10.000 Dollar. Im Februar 2012 wurde das Portal von Indie Media Network übernommen und positioniert sich verstärkt als Mekka der alternativen Spielentwicklung.

Gewinnteilung

Ein weiterer vielversprechender Aspirant in der Gründerszene ist Gambitious, das den Vorhang Anfang Juni auf der Messe E3 lüften wird. Im Unterschied zu Kickstarter und 8-Bit-Funding erhalten Unterstützer am Ende des Tages nicht nur das fertige Spiel, die Projektbetreiber müssen überdies auch den Gewinn mit ihren Investoren teilen. "Unser Modell ist das erste seiner Art", sagt Manager Paul Hanraets. "Wir bieten kleinen und großen Investoren eine große Bandbreite an hoffnungsvollen Spieleprojekten mit der Aussicht, bei Gewinn einen Anteil für sich selbst nach Hause nehmen zu können."

Um Missbrauch auszuschließen, sollen die eingereichten Projekte von Experten geprüft und handverlesen werden. Das solle dafür sorgen, dass auch Entwickler von der Community eine Chance bekommen, die nicht so bekannt wie ein Tim Schafer sind. "Die meisten Indie-Entwickler können sich nicht auf große Namen oder eine große Fan-Basis verlassen, um ihre Ziele zu erreichen, und müssen sich daher mehr anstrengen, neue Investoren zu überzeugen. Das ist der Punkt, an dem Gambitious für einen Durchbruch sorgen könnte", sagt Hanraets. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 14.5.2012)