Wenn sich Reporter des Satans beziehungsweise des "Kurier" einmal in eine Story verbeißen, dann kennen sie keine Gnade. Das wissen die Leser spätestens seit den Doping-Recherchen des Blattes - und seit das Blatt am 30. April zum ersten Mal melden konnte: "Ein mehr als mysteriöser Todesfall beschäftigt die Wiener Polizei." Um die Wiener Polizei in ihrer Beschäftigung nicht zu überfordern, präsentierte sich der Tote etwas weniger "mysteriös" als sein Fall. "Es war gegen 8.40 Uhr, als ein Spaziergänger nächst der Copa Cagrana die grausige Entdeckung machte." Dieselbe, der Tote, "war leger bekleidet und hatte keine Dokumente bei sich. Trotzdem konnte er rasch identifiziert werden. Es handelt sich laut Polizei um Moh Shokri Ghanem, den ehemaligen Premier und Ölminister von Libyen", womit das "Rätselraten um einstigen Gaddafi-Mann im 'Kurier'" für die folgende Woche eröffnet war.

Am 1. Mai wurde der Tote vom "Kurier" des "Moh" beraubt und mutierte zu einem "Shukri Ghanem", was aber an der Intensität des Mysteriums nicht das Geringste änderte: "Tatsächlich ist der Fall mehr als mysteriös", was vor allem an einem Umstand lag: "Der Tod des libyschen Ex-Premiers Shukri Ghanem wird immer mysteriöser." Davon war der "Kurier" auch nicht abzubringen, als er berichten musste: "Gelöst wurde am Montag zumindest die genauere Todesursache. Der libysche Ex-Premier ist laut erstem Zwischenbericht der gerichtsmedizinischen Obduktion ertrunken, wenn auch eine Vergiftung derzeit nicht ausgeschlossen werden kann."

In einem nebenstehenden Artikel wurde das Titelversprechen - "Der frühere Vertrauensmann des Diktators hatte viele Feinde" - brillant eingelöst mit einer Nachfrage in Libyen: "David Bachmann, österreichischer Handelsdelegierter in Tripolis vermutet, dass 'Ghanem viele Feinde gehabt hat'". Blieb die Zahl seiner Feinde auch "mehr als mysteriös", konnte man präziser beantworten, was Ghanem sonst noch gehabt hat. In Wien hatte er "schon lange ein Standbein: Eine teure Wohnung an der Alten Donau, zwei hier lebende Töchter - und vermutlich ausreichend Vermögen. In Tripolis" hingegen "bleibt der ehemalige Gaddafi-Getreue für die neue Regierung", obwohl tot, "ein rotes Tuch. Vielmehr verlangte Tripolis vom Ex-Ölminister Auskunft, wohin so manche Ölmilliarde verschwunden sei."

Ob diese libysche Neugier in ihrer Substanz auch auf einer Vermutung des "österreichischen Handelsdelegierten in Tripolis" beruht, ließ der "Kurier" leider offen, und ob sie gar vom "roten Tuch" vor dessen Abtauchen in der Neuen Donau befriedigt wurde, blieb den Quellen des Blattes leider verschlossen. Doch am 2. Mai konnte der "Kurier" mit "neuen Erkenntnissen" in Frageform aufwarten: "Stürzte Ex-Premier von der Brücke?" Aufatmen. Denn "nun ist klar: Der libysche Ex-Premier starb einige hundert Meter stromaufwärts. Zeugen meldeten sich bisher keine." Dennoch kann es nur so es gewesen sein. Es waren nämlich "keine Spaziergänger und auch keine Kellner, wie in mehreren Zeitungen", so im "Kurier", "zu lesen war, die den Leichnam fanden. Tatsächlich war es ein kubanischer Security, der auf der Copa Cagrana für Recht und Ordnung sorgt" und in Erledigung dieser Aufgabe "den Toten in der Neuen Donau treiben sah".

Wo ein "kubanischer Security für Recht und Ordnung sorgt", wird der "Kurier" noch für Mysterien sorgen dürfen. "Vielleicht ist Ghanem von seiner noblen Wohnung durch den Donaupark Richtung Brigittenauer oder Floridsdorfer Brücke gegangen. Dort könnte es zu dem folgenschweren Sturz gekommen sein."

"Oder" - wird das Blatt "mehr als mysteriös - hat am Ende doch jemand nachgeholfen? Auch eine österreichische Billigzeitung schreibt bereits von einem 'Mord-Krimi'". Da will der "Kurier" nicht zurückstehen. "Die Justiz prüft einen Mordverdacht", hieß es am 3. Mai. "Motive für einen Mord muss man nicht lange suchen - Shukri Ghanem hatte viele Feinde", leider vom "Kurier" bisher unentlarvt. "Die gegenwärtige Führung in Tripolis" dürfte kaum dazugehören, die "stellte einen Haftbefehl auf Ghanem aus". Wenn überhaupt, wollte sie ihn lebend, schon wegen der "Ölmilliarden".

Am 4. Mai folgte das Blatt "Ghanems Verbindung zu Meinl", eine Spur, die sich bedauerlicherweise rasch in der Krugerstraße verlor. Am 6. Mai wurden "die vielen" bisher ungelösten "Rätsel um Shukri Ghanem" wiedergekäut, und endlich tauchte Jörg Haider im "Netzwerk des Shukri Ghanem" auf. Aber der hat ein Alibi.

Es wird "immer mysteriöser". Günter Traxer, DER STANDARD, 8.5.2012)