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In Brüssel werden die politischen Koordinaten neu eingegeben. Statt einer konservativen Achse zwischen Berlin und Paris muss nun eine schwarz-rote Koalition wichtige Entscheidungen auf EU-Ebene und bei der Nato treffen.

Foto: APA/EPA/Julien Warnand

Nato-Gipfel, G-8-Treffen, EU-Gipfel: Frankreichs neuer Präsident Hollande muss mit Vollgas ins Amt starten. Die EU-Partner sind bereit, Wachstum und Beschäftigung zur neuen Priorität neben dem Sparen zu machen.

 

Brüssel - Nach den französischen Präsidentenwahlen wollen es Europas Spitzenpolitiker offenbar immer schon gewusst haben: Mit Sparen allein komme die Union nicht weiter. "Wir haben ein gemeinsames Ziel: die europäische Wirtschaft wiederbeleben, um dauerhaftes Wachstum zu erreichen", ließ der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, den designierten Staatspräsidenten François Hollande schon am Wahlabend wissen, kaum dass der in Tulle seine Siegerrede gehalten hatte. " Konkrete Aktionen" seien jetzt gefragt.

Ähnliches kam von Dänemarks Premierministerin Helle Thornig-Schmidt, die derzeit den EU-Vorsitz führt: Sie freue sich auf "enge und vorteilhafte" Zusammenarbeit mit dem Franzosen, Europa müsse Arbeitsplätze und Wachstum schaffen. Am Umstand, dass sie Sozialdemokratin ist, allein, kann die Tonalität kaum liegen.

Neben dem Konservativen Barroso betonte auch der Christdemokrat Jean-Claude Juncker, Eurogruppenchef wie Luxemburgs Premier, der für Eurobonds und Wachstumsimpulse kämpft, seine "guten persönlichen Beziehungen" zum Sozialisten Hollande.

EIB-Kapital aufstocken

Und Italiens Premierminister Mario Monti, der als Wirtschaftsliberaler der deutschen Kanzlerin Angela Merkel besonders nahesteht, bot dem künftigen französischen Präsidenten gleich direkt Kooperation an: Finanzdisziplin bleibt prioritär, muss aber mit Maßnahmen verbunden werden, die nachhaltiges Wachstum, Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit garantieren. Die EU-Kommission drängt schon länger darauf, dass das Kapital der "Hausbank", der Europäischen Investitionsbank (EIB), um 10 Milliarden Euro aufgestockt wird, um Darlehen für große Infrastrukturprojekte bis zu 60 Milliarden Euro vergeben zu können.

Daneben will Brüssel über den Kapitalmarkt gemeinsame "Projektanleihen" auflegen. Hunderte Milliarden ließen sich so für die Bereiche Verkehr, Energie und Telenetze mobilisieren. Zu all dem passt, dass der ständige Präsident des Europäischen Rates, Hermann van Rompuy, für Ende Mai einen EU-Sondergipfel zum Thema Wachstum angekündigt hat.

Hollande, der am kommenden Dienstag angelobt werden wird, kann sich also bestätigt fühlen. Der Wunsch, dass der EU-Fiskalpakt mit der automatischen Schuldenbremse nachverhandelt und um Elemente zur Schaffung von Beschäftigung ergänzt werden soll, war eine der zentralen Forderungen in seinem Wahlkampf. Merkel ließ über ihren Sprecher am Montag ausrichten, dass eine Neuverhandlung des Pakts "nicht möglich" sei, bekräftigte aber die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit (siehe Bericht unten).

Wie eng das gehen kann, werden Hollande und Merkel schon in einer Woche austesten können: Der Präsident fliegt gleich nach dem Amtsantritt nach Berlin.

Entscheidungsdruck

Die Liste unmittelbar anstehender Entscheidungen auf EU-Ebene aber auch in der Nato ist lang. Der EU-Fiskalpakt, der erst Anfang 2013 starten soll, wirkt dabei fast zweitrangig. Die beiden wichtigsten europäischen Bündnispartner Deutschland und Frankreich müssen schon in zehn Tagen zunächst beim Nato-Gipfel und dann beim Treffen der G-8 eng abgestimmte Positionen vertreten: Abzug der Truppen aus Afghanistan, Aufbau eines Raketenabwehrsystems mit den USA gehören ebenso dazu wie europäische Forderungen zu Eurohilfen im Internationalen Währungsfonds (IWF) oder zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer im Kreis der wichtigsten Industriestaaten der Welt.

Hollande bleibt also kaum Zeit, auf den Ausgang der geplanten französischen Parlamentswahlen Mitte Juni zu warten, die ihm im Idealfall eine Regierung mit linker Mehrheit bringen soll.

Ende Juni folgt der reguläre EU-Gipfel in Brüssel. Spätestens dann muss geklärt sein, wie man mit Wirtschaftsreformen und Eurokrisenmanagement auf EU-Ebene weiter verfahren wird. Denn der 1. Juli ist der nächste Schlüsseltag für die Union: Da soll der neue ständige Euro-Rettungsschirm (ESM) starten, dessen Milliarden gebraucht werden, sollte Spanien plötzlich in Zahlungsnot kommen - oder wieder Griechenland. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 8.5.2012)