Der Wahlsonntag in Europa hat die Befürchtungen um die Folgen der Finanzkrise und der dramatisch gewachsenen Arbeitslosigkeit für die politische Stabilität und die Zukunft der Europäischen Union bestätigt. Die Absage an die korrupten oder zumindest abgehobenen Eliten sowie die Stärkung der links- und rechtspopulistischen Bewegungen, gekoppelt mit den "postdemokratischen" Forderungen nach einem Mehr an direkter Demokratie, könnten nicht nur in Athen am Schluss dazu führen, dass - mit den Worten des deutschen Politikwissenschafters Herfried Münkler - "die Demokratie zur organisierten Selbstblockade verkomme". In seiner Analyse der verschlechterten Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Demokratie (NZZ) wies er zu Recht auf das Kernproblem der "Erwartungsüberfrachtung" hin: "Es sind die, die von der Demokratie alles und insbesondere Wunderdinge erwarten, die für sie am gefährlichsten sind."

Mit den gleichen Parolen wie "Löhne steigern", "Steuern runter" und "weniger Einwanderer", mit verführerisch einfachen Lösungen für komplexe Probleme werden Wähler geködert. Der würdige Übergang von Nicolas Sarkozy zu François Hollande an der Spitze des französischen Staates darf nicht darüber hinwegtauschen, dass 6,4 Millionen Wähler (fast 18 Prozent) im ersten Wahlgang für den rechtsextremen Front National Marine Le Pens gestimmt hatten. Die Niederlage Sarkozys ist die Folge seiner katastrophalen Wirtschaftsbilanz: Vor fünf Jahren lag Frankreich besser als Deutschland. Heute ist die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch, es gibt ein Rekorddefizit beim Außenhandel, ein marginales Wachstum und die höchste Staatsquote in Europa. Ein Drittel der gesamten Staatsverschuldung von 1,7 Billionen Euro trägt seinen Stempel. Man muss die Reaktion der Märkte auf die überzogenen Wahlversprechen des Siegers freilich abwarten, doch wäre es verfehlt, Hollande von vornherein zu verteufeln.

Mehr denn je entpuppt sich allerdings das unregierbare Griechenland nach dem verheerenden Wahlergebnis als die größte Bedrohung der Eurozone. Die politische Instabilität und die Möglichkeit einer Neuwahl nach Wochen des Kuhhandels mit radikalen Parteien könnten blitzschnell die Eurozone in Gefahr bringen. Tritt Griechenland aus der Eurozone aus, würde die Gefahr eines Dominoeffektes vor allem Spanien (mit einer Arbeitslosigkeit von fast 25 Prozent) und Portugal (15 Prozent ohne Arbeit) treffen.

Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor für Europa bleibt der Mangel an durchsetzungsstarker politischer Führung in den wichtigsten EU-Staaten. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird als die einzige sachkompetente Führungspersönlichkeit mit Durchsetzungskraft zwar nicht nur von US- Präsident Obama bewundert, doch zeigt das Wahlresultat in Schleswig-Holstein, der Einzug der Piraten, der neuen Chaoten, der unaufhaltsame Niedergang der FDP, dass auch die deutsche Politik "eine Phase der Experimente erlebt" (Heribert Prantl). Der Wahlausgang im größten Bundesland Nordhein-Westfalen dürfte am nächsten Sonntag zeigen, ob Angela Merkel und ihre Partei weiter das (zeitlich befristete) Vertrauen der auch durch die Griechenland-Pleite beunruhigten deutschen Bürger genießen. (DER STANDARD, 8.5.2012)