Sommerzeit ist Schlapfenzeit für Frau und Mann. Selbst in den unsrigen, eher nördlichen Gefilden, wo es, den derzeitigen Temperaturexzessen nach zu schließen, aber ohnehin immer südlicher wird, ist ohne Zehensandalen, Flip-Flops und ähnlichem minimalistischem Schuhzeug kein Auskommen mehr - sie sind die einzige Alternative zum Barfußgehen, die letzte Barriere zwischen Fuß und umgebendem Terrain.
Der natürlich sofort ins Auge stechende Hauptvorteil von zehenfreiem Schuhwerk ohne Fersenhaftung ist die umfassende Belüftung des in der Hitze schwitzenden und aufquellenden Fußes. Man kann sich seiner unter dem Schreibtisch auch ganz diskret entledigen. Bequem sind die Dinger - mit Ausnahme gefährlicher High-Heel-Modelle - sowieso. Und nebenbei sinkt auch noch der Sockenverbrauch drastisch.
Nicht zu unterschätzen ist der sedierende Einfluss, den Schlapfen auf ihre Träger und deren Motorik haben. Man kann mit ihnen nicht wirklich schnell gehen, geschweige denn laufen, sie verführen also zum gemütlichen Latschen, zu einer der Außentemperatur adäquaten Gehgeschwindigkeit. Der beruhigende Effekt könnte durchaus auch mit der Geräuschentwicklung zu tun haben, die beim Kontakt der Schuh- mit der Fußsohle bzw. mit dem Boden entsteht. Flapp-schlapp, schlapp-flapp . . .
Modehistorisch gesehen bedeuten Sandalen eine Rückkehr zu den Wurzeln: Die Sandale ist älteste erhaltene Art der Fußbekleidung, wie Ingrid Loschek in ihrem Mode- und Kostümlexikon zu berichten weiß. Ein Basic-Teil, wie es einfacher nicht sein könnte: Eine Sohle wird mit Riemen am Fuß gehalten und schützt selbigen vor direktem Bodenkontakt.
Begonnen hat es - wie so vieles andere - bei den alten Ägyptern. Bis etwas 2280 v. Chr., so Loschek, ging man dort noch barfuß, mit dem Neuen Reich (1550-1070 v. Chr.) kamen die Sandalen auf, gefertigt aus Papyrus, Palmblättern oder Leder. Sie galten damals als Luxusartikel und Standeszeichen und wurden dem stolzen Besitzer von einem Sandalenträger nachgetragen. Und der Pharao hatte Exemplare aus Gold- oder Silberblech. Weiter zieht sich die Spur der Sandale über die Assyrer, die das Modell mit dem Fersenschild bevorzugten, und die Kreter, die die Sandalen mit Riemen bis zur Wade schnürten, zu den Griechen, die eine große Vielfalt des Schuhwerks "Sandalia" kannten. Und erst die Römer . . .
Ein wahrer Dauerbrenner der Modegeschichte also, dessen sich auch gerne die Designer annehmen. Sie haben seit einiger Zeit den ganz ordinären Flip-Flops die höheren Weihen eines "Kultobjekts" verliehen. Nicht irgendwelchen Flip-Flops, sondern den einzigen, den echten: den "Havaianas" aus Brasilien. Die sind momentan angeblich das Ding, das man unbedingt haben muss, die Supermodels raufen sich darum, ganz besonders exquisite Exemplare - wie zum Beispiel die mit Swarovski-Steinen geschmückten, die die für den Oscar nominierten Hollywoodgrößen heuer als Goodie erhielten - gehen in die einige Hunderte Dollar.
In Brasilien kosten Havaianas umgerechnet um die 3 bis 4 Euro. Das Konstruktionsprinzip der ultraleichten brasilianischen Zehensandale ist so simpel wie intelligent: eine Sohle mit drei Löchern, in denen die v-förmigen Riemen verankert sind. "Sie verlieren nie die Form, stinken nicht und haben Riemen, die nicht kaputt gehen": So wirbt der Erzeuger, die in São Paulo ansässige Firma Alpargatas, für "die beste Gummisandale der Welt".
Selbstverständlich gibt es auch eine schöne Legende zur Entstehung. Eine brasilianische Reisegruppe soll von einem Japanaufenthalt eine Zori-Sandale - die mit dem klassischen Zehensteg - mitgebracht haben, die dann dem brasilianischen Schlapfen Modell gestanden habe. Seit 1962 werden Havaianas produziert, in ihrer Heimat sind sie ein Massenprodukt, das man nicht nur in Schuhgeschäften, sondern auch im Supermarkt bekommt. Ein "demokratisches" Schuhwerk, weil es sich alle leisten können und auch alle tragen.
Ein geglückter Relaunch der Havaianas (inklusive einer Vielzahl neuer Farben und Muster) in den 90er-Jahren machte die Gummisandale zu einem Exportschlager. Für den Verkauf außerhalb Brasiliens platzierte man das Produkt in einer deutlich höheren Preislage, in Österreich kosten sie zwischen 22 und 35 Euro.
Fünf Paar Havaianas in der Sekunde bzw. 105 Millionen Paar im Jahr stellt Alpargatas in der Produktionsstätte in Campina Grande, Paraíba her, in unterschiedlichsten Stilrichtungen, die sich "Floral", "Brazil", "Traditional" oder "Alamoana" nennen. Wem das noch immer nicht genügt, der kann sich seit dem Vorjahr auch seine ganz persönlichen Havaianas fertigen lassen und dazu aus 50 Farben und Prints für die Sohle und 20 Varianten für die Riemen wählen - allerdings nur in den Shops in Recife und Porto Alegre.
"Jeder in Brasilien hat zumindest ein Paar", erzählt die Grafikerin Claudia M., eine Wien lebende Brasilianerin. Ihr erstes Paar Havaianas bekam sie im Alter von fünf Jahren, "die hatten eine weiße Sohle und hellblaue Riemen, so schön". Der Zehensteg sei zwar anfangs gewöhnungsbedürftig, meint sie, sonst seien sie aber super bequem. "Mit der Zeit nimmt die Sohle den Abdruck vom Fuß an, dann kann man sie auch nicht mehr verwechseln, man erkennt die eigenen sofort, wenn man hineinschlüpft."