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Lesen eines Braille-Textes

Foto: Reuters/Beawiharta
Jerusalem - Bisherige Studien zeigten, dass von Geburt an blinde Menschen (kongenitale Blindheit) überdurchschnittlich entwickelte verbale Fähigkeiten besitzen. Hinweise auf die Gründe dieses Phänomens lieferte nun eine aktuelle Studie des Department of Neurobiology des Alexander Silberman Institute of Life Science der Hebrew University of Jerusalem.

Aktive Region

Das Team um Ehud Zohary untersuchte, wie und wo Informationen im Gehirn blinder Menschen verarbeitet werden. Menschen verlassen sich auf ihren Sehsinn. Etwa 25% des menschlichen Gehirns werden verwendet, um visuelle Reize zu verarbeiten. Widerlegt werden konnte nun der bisher vorherrschende Glaube, mit dem Verlust des Sehsinns würde auch diese Region brach liegen.

Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die unbeschäftigt geglaubte Sehrinde für die Verarbeitung des Tastsinns, aber auch für Sprache und Gedächtnis genützt wird. Ein Bericht über die Studie erscheint in der aktuellen Online-Ausgabe des Fachmagazins "Nature Neuroscience".

Alternative Aufgaben

Während des Lesens der Braille-Schrift aktivieren von Geburt an Blinde die Sehregion. Dieses Areal wird durch die Blindheit neu organisiert und mit dem Verarbeiten von Informationen des Tastsinns "beauftragt". Lesen stimuliert jedoch nicht nur den taktilen Sinn, sondern schließt auch Sprache und Gedächtnisprozesse mit ein. Durch funktionale Magnetresonanz (fMRI) zeigten die Forscher, dass die Sehrinde Blinder nicht nur durch das Lesen der Braille Schrift aktiviert wird, sondern auch durch verbale Wiedergabe von zuvor Gemerktem, z.B. der Wiedergabe einer Reihe abstrakter Wörter.

Zohary und sein Team schließen daraus, dass kongenitale Blindheit zu einer dramatischen Reorganisation der Sehrinde und damit zu herausragenden kognitiven Fähigkeiten führt. Diese Fähigkeit der Umstrukturierung sei bei Menschen, die später in ihrem Leben erblinden, nicht in gleichem Ausmaß gegeben, so Zohary.

Unterschiede bei Kontrollgruppe

Die Forscher erkannten auch enorme Unterschiede bei sehenden Menschen. Personen dieser Kontrollgruppe wurden vor die gleichen verbalen Gedächtnis-Aufgaben gestellt, wie die blinden Personen zuvor: Die sehenden Menschen zeigten keinerlei Aktivität der Sehrinde bei derartigen Gedächtnisaufgaben. "Diese Studie öffnet ein Fenster für besseres Verständnis der kortikalen Formbarkeit. Ein wichtiger Schritt, um die Behandlung neurodegenerativer Krankheiten zu verbessern", sagte Zohary. Dennoch seien unbedingt weitere Forschungen notwendig, um die neuronalen Mechanismen besser zu verstehen, so der Forscher abschließend. (pte)