derStandard.at: Griechenland hat gewählt, die Regierungsbildung gestaltet sich allerdings genauso schwierig wie vermutet. Waren vorgezogenen Wahlen zu diesem Zeitpunkt die falsche Entscheidung?

Dimitri A. Sotiropoulos: Aus rein wirtschaftlicher Sicht war es sehr unklug, jetzt Wahlen abzuhalten. Man hätte warten sollen, bis der Großteil der Maßnahmen aus dem zweiten Rettungspaket auf Schiene gebracht ist. Wie auch immer: Griechenland ist eine westliche Demokratie. Wesentliche Entscheidungen können nicht gegen den Willen der Bevölkerung getroffen werden. Die Maßnahmen, die getroffen werden, sind so schwerwiegend, dass das Volk vorher um seine Meinung gefragt hätte werden sollen.

derStandard.at: Was bedeutet nun dieses Wahlergebnis für das Rettungspaket und Europa?

Sotiropoulos: Griechenland und die EU-Partner werden an diesem Rettungspaket festhalten. Das geschieht nicht nur zum Wohle Griechenlands, sondern auch für die Eurozone. Neue Kredite bekommt Griechenland aber nur, wenn eine neue Regierung sich zur Einhaltung der Verpflichtungen gegenüber den Kreditgebern verpflichtet.

derStandard.at: Waren die Griechen wütend auf ihre Regierung oder auf die Fremdbestimmung durch die Kreditoren, die die Restrukturierungsmaßnahmen ja vorgaben?

Sotiropoulos: Die Griechen haben vor allem aus emotionalen Gründen gewählt, wie sie eben gewählt haben. Und das basierend auf der falschen Annahme, dass es möglich ist, den Lebensstandard der 1990er und 2000er Jahre wieder zurückzubekommen. Das ist es zumindest, was die Oppositionsparteien den Wählern versprochen haben. Die Regierungsparteien haben es außerdem versäumt, deutlich zu machen, dass die Erhaltung des alten Lebensstandards nicht realistisch ist, also unter keinen Umständen eine Zukunftsoption war oder ist.

derStandard.at: Antonis Samaras, Chef der konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND), hat den Versuch einer Regierungsbildung nach wenigen Stunden aufgegeben. Nun ist Alexis Tsipras, Chef der radikalen Linken (SYRIZA), am Zug. Ist der Versuch, Koalitionspartner für eine stabile griechische Regierung zu finden, eine Mission Impossible?

Sotiropoulos: In der Tat. Dieses Unterfangen ist eine Mission Impossible. Keine der Parteien wird eine Regierung zustande bringen. Auch wenn sich kurzfristig eine Koalition formen lässt, wird diese nicht lange halten. Denn das wäre nur unter Beteiligung der bisherigen Regierungsparteien ND und PASOK (Sozialisten, Anm.) möglich. Beteiligen sich diese beiden Parteien wiederum an der Regierung, wird es einen massiven Aufschrei geben. Ich gehe davon aus, dass es Mitte Juni Neuwahlen gibt.

derStandard.at: Haben Oppositionsparteien wie die zweitplatzierte SYRIZA überhaupt Konzepte für die Krise?

Sotiropoulos: Nein. Sie haben niemals einen glaubwürdigen alternativen Rettungsplan für Griechenland präsentiert, und ich nehme an, sie haben auch keinen.

derStandard.at: Neben anderen extremen Gruppierungen hat auch die rechtsextreme und ausländerfeindliche "Goldene Morgenröte" einen Wahlerfolg verbuchen können. Erstmals seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahr 1974 hätte Griechenland damit wieder rechtsextreme Abgeordnete - 19 von 300 - im Parlament. Wie würde sich das auf die griechische Politik auswirken?

Sotiropoulos: Die "Goldene Morgenröte" wird keinen Einfluss auf die griechische Wirtschaft oder Außenpolitik haben. Was sein kann, ist, dass sie den Fokus der anderen Parteien stärker auf das Problem der Migration in Griechenland richten.

derStandard.at: Ist ein EU-Ausstiegsszenario mit der instabilen Lage in Griechenland nun wahrscheinlicher?

Sotiropoulos: Nein, wenn die EU-Partner Griechenland nicht hinausschmeißen, dann nicht. Und das werden sie vermutlich nicht tun wollen. Griechenland ist eine sehr kleine Volkswirtschaft. Die EU-Volkswirtschaften haben mittlerweile ohnehin die nötigen Schutzmaßnahmen gegen die Ansteckungsgefahr durch die griechische Krise ergriffen. Der Rest von Europa kann sich also zurücklehnen und warten, bis Griechenland die notwendigen Strukturmaßnahmen, die für den Verbleib in der Eurozone vorgegeben wurden, auf Schiene bringt. Oder eben, bis Griechenland einseitig entscheidet, aus der Eurozone auszutreten. Eine derartige Entscheidung käme aber einem Selbstmord gleich. (mhe, derStandard.at, 8.5.2012)