Der abgebildete Badge stammt aus der 2011 in Wien durchgeführten NGO-Straßenaktion "Österreichertest".

Foto: www.oesterreichertest.at

Wien - 46 Jahre lang hatte sich Eugen Nerger (65) als Österreicher gewähnt. Als Österreicher hatte er seinen Wehrdienst abgeleistet, im Sommer war er jahrzehntelang mit seinem österreichischen Pass in den Urlaub gefahren.

Dann starb 2007 seine aus der heutigen Ukraine stammende Mutter - und im Zuge der Abwicklung ihrer Verlassenschaft stellte sich heraus, dass der Sohn all die Zeit über zu Unrecht stolzer Inhaber einer rot-weiß-roten Staatsbürgerschaft gewesen war. Dass es sich bei ihm um einen sogenannten Putativösterreicher (putativ: auf einem Rechtsirrtum beruhend) gehandelt hatte.

Kein Sondererwerbstatbestand

Nergers Pass wurde eingezogen, die Staatsbürgerschaft ihm aberkannt: Als heute Staatenloser ist der Pensionist von einer Wiederaufnahme in den Kreis der behördlich sanktionierten Österreicher genauso weit entfernt wie jeder andere Ausländer mit Einbürgerungswünschen. "Weil das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht für Fälle wie den seinen keinen Sondererwerbstatbestand kennt, so wie er zum Beispiel in der Schweiz und in Deutschland existiert", kritisiert Volksanwältin Terezija Stoisits im STANDARD-Gespräch.

Für Stoisits ist Nergers Lage ein Beweis gesetzesmacherischer Kleinlichkeit. Im Bericht der Volksanwaltschaft an National- und Bundesrat 2011 wird er im Kapitel "Staatsbürgerschaften" gleich zu Beginn erwähnt. Auch im Bürgeranwalt, der von der Volksanwaltschaft bestrittenen ORF-Fernsehsendung, hat sie seinen Fall schon präsentiert. Doch Signale behördlichen Entgegenkommens blieben bisher aus. "Das Bundesministerium für Inneres nimmt die gegenständliche Causa zum Anlass, die Problematik und das Auftreten allfälliger weiterer Fälle aufmerksam zu beobachten", schrieb der Leiter der ministeriellen Rechtssektion, Mathias Vogl, am 8. November 2011.

Die Volksanwaltschaft weist das Innenressort seit dem Jahr 1984 in regelmäßigen Abständen auf die Probleme von Menschen wie Nerger hin, die ohne eigenes Zutun, also unabsichtlich, zu Unrecht als Österreicher gelten und daher ausgebürgert werden.

Staatenlose Mutter

Wie ist es möglich, dass ein Mensch jahrzehntelang als falscher Österreicher lebt? In Nergers Fall hatte es mit den Wirren und politischen Umwälzungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Die Mutter, geboren als österreichisch-ungarische Staatsangehörige in Czernowitz (heute Ukraine), galt 35 Jahre lang als staatenlos. Dann wurde sie deutsche Staatsbürgerin.

Der Vater wiederum, ein Moldawiendeutscher, war 1956 in Österreich eingebürgert worden. Doch diese Staatsbürgerschaft wurde nicht auf seinen Sohn Eugen erstreckt.

Dem Sohn folgte die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land 1965 trotzdem einen österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweis aus: ein Irrtum, der unter den herrschenden Gesetzen nur schwer wieder repariert werden kann - wie Stoisits betont: "Zwar könnte Herr Nerger die Staatsbürgerschaft sofort wieder von Neuem beantragen - lang genug in Österreich aufhältig ist er ja. Nur ist leider fraglich, ob er als Pensionist mit rund 500 Euro Monatsrente die für Einbürgerungen verlangte Einkommensgrenze schafft."

Hohe Hürden

Tatsächlich müsste der ohne Verschulden Ausgebürgerte ein Nettomonatseinkommen von rund 800 Euro plus Wohnkosten vorweisen: Eine hoch angesetzte Grenze, die auch vielen anderen Einbürgerungswilligen Probleme macht. Er müsste den Staatsbürgerschaftstest absolvieren, 46 Jahre nach seiner ersten Einbürgerung. All dies verweigert der Pensionist - und Stoisits kann nachvollziehen, warum.

Die Probleme der jährlich rund vier Putativösterreicher, die sich an sie wenden, seien "kein Luxus", sagt sie. Als Lösungsmöglichkeit weist sie auf die Regelung in der staatsbürgerschaftsrechtlich strengen Schweiz hin, wo Putativschweizern schon nach fünf Jahren Aufenthalt eine erleichterte Einbürgerung möglich ist. (Irene Brickner, DER STANDARD, 9.5.2012)