Benjamin "Bibi" Netanjahu konnte nur gewinnen. Bei vorgezogenen Neuwahlen wäre er der sichere Sieger gewesen, jetzt wird er der erste israelische Premier seit gut 30 Jahren sein, der eine volle Legislaturperiode durchsteht. Angesichts einer Koalition, die 78 Prozent der Parlamentssitze kontrolliert, klagt die Opposition, dass Netanjahu nun so viel Macht habe wie ein "Diktator". Doch ist die "Stabilität", auf die Netanjahu verweist und die er mit der Koalitionserweiterung untermauert, nur eine Illusion?
Manche meinen, dass das verschleppte Palästinenserproblem ihm irgendwann ins Gesicht fliegen muss. Doch es sind vor allem die Randbedingungen - die globale Wirtschaftskrise und die blutigen Turbulenzen in der arabischen Welt - , die Israel seit dem Antritt Netanjahus als eine Insel relativer Ruhe erscheinen lassen und das Palästinenserproblem verdecken. Daran wird sich so schnell nichts ändern, und Netanjahu wird, zumindest aus dem Blickwinkel der israelischen Wähler, weiter gut aussehen.
Über allem schwebt dabei permanent die dunkle Wolke der möglichen Konfrontation mit dem Iran. Die Regierungsumbildung in Israel hat mit dem Iran nur wenig zu tun, vermittelt aber nach außen hin den Eindruck größerer Geschlossenheit und Entschlossenheit, was die Kriegsgefahr vermutlich verringert. Die Faustregel ist nämlich: Die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs ist umso geringer, je glaubwürdiger die Drohung damit ist. (Ben Segenreich, DER STANDARD, 9.5.2012)