Augenzeuge einer "Schande für das Land": Peter Zawrel.

 

Foto: STANDARD/Newald

Wir schreiben den 8. Mai 2012, und zum dritten Mal in meinem Leben schäme ich mich, Österreicher zu sein. Während anderswo Staatsakte zum Gedenken an den Sieg über das Nazi-Regime abgehalten werden, findet am Wiener Heldenplatz unter Polizeischutz ein "Totengedenken des Rings Volktreuer Verbände" statt; mit anderen Worten: eine Veranstaltung von Ewiggestrigen, die sich nicht über den Untergang des "Dritten Reiches" freuen, sondern dessen Niederlage betrauern, indem sie nicht seiner Opfer, sondern "seiner Toten" gedenken. Mit gutem Grund hält sich sogar H.-C. Strache mittlerweile von dieser gespenstischen Veranstaltung fern.

Während die Herren Sarkozy und Hollande am 8. Mai öffentlich gemeinsam auftreten, findet in Wien - erstmals! - eine vergleichsweise intime Veranstaltung im Bundeskanzleramt statt. Der Bundespräsident war auch dabei. Aber das Geschehen vor seinen Fenstern am Heldenplatz hat er zugelassen? Die einzige öffentliche Veranstaltung an diesem bedeutungsgeladenen Ort war kein Staatsakt, sondern eine " Gegenveranstaltung", bei der Vertreter der SPÖ, der Wiener Grünen, der Israelitischen Kultusgemeinde und des Personenkomitees "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" auftraten. Was aber heißt " Gegenveranstaltung"? Schreiben wir wirklich das Jahr 2012?

An diesem Tag wurde sogar, was äußerst selten geschieht, das große Burgtor gesperrt und das Areal hermetisch abgeriegelt. Das Platzverbot wurde vom Wiener Polizeipräsidenten damit begründet, dass "aufgrund zu befürchtender gewalttätiger Ausschreitungen anlässlich des Umzugs zum ' Totengedenken des Rings Volktreuer Verbände' (...) anzunehmen (ist), dass eine allgemeine Gefahr für Leben (!) oder Gesundheit mehrerer Menschen und für Eigentum im großen (!) Ausmaß (...) entstehen wird".

Wie gut, dass die Polizei uns vor diesen Umtrieblern schützt, könnte man sich da zunächst denken. Aber das dicke Ende kommt im Paragrafen 3 der Verordnung, denn dort wird klar, dass es just umgekehrt ist: Die " Totengedenkler" dürfen rein in den Sperrbezirk und alle anderen nicht. Die Polizei ist demzufolge also nicht dazu da, die Mehrheit vor einer Belästigung durch die Umtriebe dieses Häufleins Verirrter - Sieger sehen wahrhaft anders aus! - zu schützen, sondern dazu, die "Volktreuen" vor jenen zu schützen, die an diesem 8. Mai wieder einmal das internationale Ansehen Österreichs durch ihr Auftreten gerettet haben, darunter viele Jugendliche, die den großteils nicht viel älteren Polizisten in ihren Star-Wars-Anzügen überwiegend mit entwaffnender Gelassenheit und ebensolchem Humor begegnet sind.

Lange Zeit war ich stolz auf meinen österreichischen Pass. Dann war Waldheim, und ich habe mich geschämt. Dann war Schüsselhaider, und ich hätte was darum gegeben - damals gerade am Filmfestival in Rotterdam -, meinen österreichischen Akzent verbergen zu können. Und nun dieser 8. Mai und diese Verordnung. Wenn das "Totengedenken des Rings Volktreuer Verbände" in der Lage ist, eine so große Furcht um Leben und Eigentum der Menschen auszulösen, warum wird es dann nicht einfach verboten?

Warum rufen die Innenministerin oder der Bürgermeister dem Wiener Polizeipräsidenten nicht in Erinnerung, dass es in der Zweiten Republik bisher nur einmal eine Demonstration mit "Gefahr für Leben oder Gesundheit (...) im großen Ausmaß" gegeben hat, und zwar mit tödlichem Ausgang für einen Mann namens Ernst Kirchweger, und der war Antifaschist, und schuld an seinem Tod war ein Mitglied des Rings Freiheitlicher Studenten RFS. Wozu hätte Karl Kraus einen Polizeipräsidenten aufgefordert, der solche Verordnungen erlässt? Und was sagen übrigens die Medienvertreter dazu, dass ihnen das Betreten der Sperrzone nur in Begleitung eines Pressesprechers der Bundespolizeidirektion erlaubt wurde? (Peter Zawrel, DER STANDARD, 10.5.2012)