Markus Ferber: "Wir haben klare Vereinbarungen: Hilfe gibt es nur bei entsprechender Gegenleistung."

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So harmonisch, wie die Schauspielerin Ino Menegaki in ihrer Rolle als Hohepriesterin beim Entzünden des olympischen Feuers, geht es in der griechischen Politik nicht zu.

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Weitere Hilfszahlungen an Griechenland sollten unter den derzeit herrschenden Bedingungen nach den Worten von Markus Ferber sofort gestoppt werden. Mehr noch: Bereits die letzte Überweisung von 4,2 Milliarden Euro sei ein Fehler gewesen. Warum er sich eine schnelle Pleite Griechenlands wünscht und weshalb Europa eine solche durchaus verkraften könnte, erklärt der Chef der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament im Interview mit derStandard.at.


derStandard.at: Soeben wurde eine neuerliche Tranche von 4,2 Milliarden Euro an Hilfsgeldern an Griechenland überwiesen. Das ist eine Milliarde weniger als geplant. Sind Sie zufrieden?

Ferber: Nein, denn wir haben klare Vereinbarungen: Hilfe gibt es nur bei entsprechender Gegenleistung. Jeder, der sich unter den Rettungsschirm begibt, akzeptiert auch, dass er entsprechende Anpassungsprogramme abzuarbeiten hat. Jeder, der von sich aus diese Vereinbarung aufkündigt, hat auch keinen Anspruch mehr auf die Hilfe durch die Europäische Union und die Europäer.

derStandard.at: Unter Aufkündigung verstehen Sie die Androhung des Chefs des Bündnisses der Radikalen Linken, Alexis Tsipras, die Sparvorgaben durch die EU abzulehnen?

Ferber: Nicht nur. Das Aufkündigen ergibt sich schon allein durch die Tatsache, dass es in Griechenland keine regierungsfähige Mehrheit gibt, die sich zu den Abmachungen mit der EU bekennt. Das allein ist bereits ein objektiver Tatsachenbestand, der unabhängig von Einzeläußerungen zu bewerten ist.

derStandard.at: Ihrer Meinung nach ist die Überweisung der jetzigen Hilfsgelder also verantwortungslos?

Ferber: Ja. Vor allem deswegen, weil nicht abzusehen ist, ob Griechenland in den nächsten Wochen und Monaten politisch überhaupt in der Lage sein wird, mit einer handlungsfähigen Regierung das Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission fortzuführen. Es hätte für die 4,2 Milliarden sicher bessere Verwendungsmöglichkeiten gegeben, sofern man das Geld jemals wiedersehen will.

derStandard.at: Und zwar?

Ferber: Die beste Lösung wäre gewesen, das Geld bei den Steuerzahlern in Europa zu belassen. Wie haben selbst Bedarf an privatem Kapital, das für die Wirtschaft auch nutzbar gemacht werden kann.

derStandard.at: De facto ist Griechenland bankrott. Wäre eine Pleite für Resteuropa verkraftbar?

Ferber: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass Europa in den letzten Monaten viel an Hilfe für Griechenland geleistet hat. Der Einsatz der privaten Investoren, auf rund 75 Prozent ihrer Forderungen zu verzichten, ist ein sehr deutliches Signal der Hilfsbereitschaft gewesen. Insofern wäre eine gewisse Dankbarkeit aus Griechenland, die bedauerlicherweise nicht gekommen ist, die richtige Reaktion gewesen.

Die Tatsache, dass Griechenland ausschließlich über den Rettungsschirm Verpflichtungen erfüllen kann, zeigt, dass Griechenland faktisch bankrott ist. Trotzdem denke ich, dass es uns in den letzten Monaten gelungen ist, Griechenland so weit von den Finanzmärkten zu isolieren, dass ein Dominoeffekt zulasten anderer Euro-Mitgliedsstaaten nicht mehr zu befürchten ist. Ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro hätte keine dramatischen Auswirkungen für den Euroraum.

derStandard.at: Die Auswirkungen für Griechenland dagegen wären verheerend ...

Ferber: Griechenland wäre mit einem Schlag zahlungsunfähig. Die Schulden stehen in Euro, eine abgewertete neue Währung würde eingeführt werden. Griechenland wäre nicht mehr in der Lage, seine Verpflichtungen zu erfüllen, und der IWF würde mit sofortiger Wirkung die Herrschaft in Griechenland übernehmen müssen. Das heißt, all jene griechischen politischen Kräfte, die meinen, man müsse nur härter verhandeln, werden sich noch ordentlich täuschen und sich nach der "guten alten Zeit" im Euro zurücksehnen.

derStandard.at: Spielen wir das Szenario weiter durch: Griechenland tritt aus - ist eine spätere Rückkehr überhaupt möglich?

Ferber: Ich denke, wir sind uns alle einig, dass ein Land, das den Euro verlässt, eine lange, nachhaltige Wirtschaftskrise durchläuft und lange Zeit benötigt, um das Vertrauen an den Kapitalmärkten zurückzugewinnen, und gleichzeitig sehr lange braucht, um die Beitrittskriterien zum Euro zu erfüllen. Jedem ist wohl auch klar, dass beim nächsten Beitrittsgesuch Griechenlands genauer nachgeschaut werden würde, als das im Jahr 2000 der Fall war.

derStandard.at: Das Geld an Griechenland war demnach verpulvert?

Ferber: Das habe ich nicht gesagt. Im Gegenteil: Ich habe den Kurs der Euroländer voll und ganz mitgetragen, solange es in Griechenland eine Regierung mit Parlamentsmehrheit gab, die den vorgegebenen Kurs der Troika mitgetragen hat. Mit den jetzigen Neuwahlen ist dieser verloren gegangen.

derStandard.at: Derzeit ist der Sozialistenchef Evangelos Venizelos mit dem Versuch einer Regierungsbildung am Zug. Wie hoch schätzen Sie nach dem Scheitern seiner beiden Vorgänger seine Erfolgschancen ein?

Ferber: Die Gespräche von Antonis Samaras und Alexis Tsipras haben gezeigt, wie schwierig eine Regierungsbildung ist. Ich denke daher, dass dies auch unter der Führung von Venezelos nicht möglich sein wird. Zweifellos laufen wir laut griechischer Verfassung auf Neuwahlen zu, und das Chaos setzt sich fort und wird sich wohl noch vergrößern.

derStandard.at: Wie kann sich das Chaos noch vergrößern?

Ferber: Die extremen Parteien werden wohl bei einem zweiten Urnengang noch mehr Stimmen gewinnen, während die traditionellen Parteien noch mehr Stimmen verlieren werden. Eine Regierungsbildung würde dadurch faktisch unmöglich werden. Sollte es die extreme Linke dennoch schaffen, werden die Vorgaben aus der Eurozone nicht mehr eingehalten werden, was dazu führt, dass ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro unabwendbar würde. Das Einfrieren der Hilfsgelder wäre die zwingende Konsequenz.

derStandard.at: Alternativlos?

Ferber: Ja. Ich halte es für abenteuerlich, in dieser Phase Neuwahlen durchzuführen. Das Parlament wäre bis zum Herbst nächsten Jahres demokratisch legitimiert gewählt gewesen. Bis dahin wäre es auch möglich gewesen, das Licht am Ende des Tunnels - was die Griechen an sich auch verdient hätten - zu sehen.

derStandard.at: Der Fraktionschef der Grünen im EU-Parlament, Daniel Cohn-Bendit, fordert von Brüssel, einen Fonds zur Bekämpfung der Armut in Griechenland einzurichten.

Ferber: Lassen wir die Kirche im Dorf. Nicht alles, was berichtet wird, entspricht der Realität. Griechenland hat ein ganz anderes System betreffend die Sicherheit, als wir es in Kontinentaleuropa kennen. Es geht also nicht darum, einen neuen Topf zu finden, der wiederum Geld irgendwohin pumpt. Es geht darum, Strukturen so abzufassen, dass sie effizient sind und dort helfen, wo tatsächlich Not herrscht - gemäß den Sozialsystemen Griechenlands. Dort, wo Missstand herrscht, muss er selbstverständlich eingedämmt werden.

derStandard.at: Tote, die Pensionen, Blinde, die nicht blind sind und Sozialleistungen beziehen, oder Reiche, die ihr Geld am Fiskus vorbei ins Ausland verschieben?

Ferber: Das sind die netten Beispiele der vergangenen Monate. Blinde sollen weiter Blindengeld bekommen, aber nicht die Sehenden. Es zeigt uns, dass noch sehr viel Potenzial für Reformen vorhanden ist, ohne dass massive Armut ausbricht, sondern indem die Mittel auf die Menschen konzentriert werden, die wirklich die Hilfe der Gemeinschaft benötigen.

derStandard.at: EZB-Präsident Mario Draghi hat kürzlich gesagt, dass das Schlimmste der Eurokrise vorbei sei. Jetzt hat sich die Lage allerdings wieder verschärft. War die Prognose etwas voreilig?

Ferber: Ich war bei dieser Prognose selbst im Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments anwesend. Das Statement gab Draghi vor den Wahlen in Frankreich und Griechenland ab. Es war zu diesem Zeitpunkt also richtig - leider nur für eine Woche.

derStandard.at: Wenn es brennt, springt die EZB mit Staatsanleihekäufen, mit einem Billionenkredit an die Banken ein. Verlässt sich die Politik mittlerweile blind auf dieses Einschreiten?

Ferber: Im Falle Griechenlands sind die Möglichkeiten der EZB deutlich eingeschränkt, da griechische Staatsanleihen auf dem Markt kaum mehr vorhanden sind. Die EZB kann es nicht mehr richten, ihr Instrumentenkasten ist abgearbeitet. Es geht jetzt darum, dass sich Griechenland selbst zu seinen Sparmaßnahmen bekennt und diese konsequent fortsetzt - ansonsten droht zwangsläufig innerhalb kürzester Zeit die Staatspleite. Ich bin der Meinung, das sollte besser heute als morgen passieren. (ch, derStandard.at, 11.5.2012)