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Das alljährliche Gedenk-Säbelrasseln rechter Burschenschafter zwischen Burgtor und Hofburg. Wie lange will sich Österreich dieses Schauspiel noch bieten lassen?

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Ich gebe Peter Zawrel ("Schreiben wir wirklich das Jahr 2012?", DER STANDARD, 11.5.) recht. Was Jahr für Jahr am 8. Mai auf dem Wiener Heldenplatz passiert, ist eine Schande für unser Land, genauer: für die Repräsentanten dieses Landes, die nicht nur derartige Kundgebungen zulassen, sondern auch noch glauben, diese gegen die Reaktionen derer schützen zu müssen, denen das - offenbar im Gegensatz zu den verantwortlichen Stellen - immerhin peinlich ist. Was für ein peinlicher Polizeipräsident und was für eine peinliche Innenministerin, die zulassen, dass eine peinliche Minderheit rechter Agitatoren am Tag der Befreiung vom Nazi-Regime auf ebendem Platz provozieren darf, auf dem der Beginn dieses Regimes in Österreich besiegelt wurde. Was für ein peinlicher Gesetzgeber, der Rahmenbedingungen schafft, die jene des Platzes verweisen, denen die Inszenierung rechten, revisionistischen Gedankengutes ein Gräuel ist, damit eben diese Inszenierung ungestört über die Bühne gehen kann.

Wenn die rechten Burschenschafter und einzelne schlagende FPÖ-Mandatare wirklich dem Ende des Dritten Reiches nachtrauern wollen, dann sollen sie das doch bitte in ihren Klublokalen oder sonst wo tun, aber nicht öffentlich auf dem Heldenplatz unter dem Schutz der Wiener Polizei und des Innenministeriums.

Der eigentliche Skandal ist aber, dass diese österreichische Bundesregierung selbst keine überzeugende Veranstaltung zusammenbringt. Während überall in Europa der 8. Mai als Tag der Befreiung gefeiert wird, verkriecht sich die Bundesregierung zu einer protokollarischen Gedenkminute im Kanzleramt, und der Bundespräsident als Gast von nebenan nickt würdig dazu. Ist das alles? Mehr ist in Österreich 2012 nicht möglich? Kann das wirklich sein, dass sich die Institutionen des Staates international eine derartige Blöße geben wollen? Ist ihnen das gleichgültig, oder merken sie das gar nicht?

Wie wäre es, wenn die Bundesregierung am 8. Mai 2013 selbst auf dem Heldenplatz Präsenz zeigte - öffentlich, ohne Polizeischutz, ohne Sperrzone, aber stattdessen verbunden mit der Einladung an alle Österreicher, mitzufeiern? Nämlich die Befreiung zu feiern, die am 8. Mai 1945 geschaffene Grundlage dafür, dass wir heute in einem demokratischen Staat leben können. Das ist doch was, das wär doch was.

Verdrehtes Selbstverständnis

Aber dass in diesem offiziellen Österreich, im Selbstverständnis dieser Republik irgendwie alles verdreht ist, das hat schon in der Nachkriegszeit begonnen. Als der Ministerrat und später die Parlamentarier den heutigen Nationalfeiertag beschlossen haben, sind sie nicht auf den 8. Mai gekommen, den Tag der Befreiung von den deutschen Nazibesatzern, nein, es war ihnen jener Tag wichtiger, mit dem die Befreiung von den Befreiern der Nazibesatzer festgeschrieben wurde. - Was besagt das? Nichts anderes, als dass bis auf den heutigen Tag Ursache und Wirkung verwechselt werden. Und so kommt es, dass am 26. Oktober das österreichische Bundesheer mit seinen Geschützen auf dem Heldenplatz Aufstellung nimmt (als hätte sie die alliierten Befreier vertrieben) und am 8. Mai das rechte Lager zur nationalen Trauer aufruft.

Liebe österreichische Bundesregierung, sehr geehrte österreichische Parlamentarier/innen des Jahres 2012, ich möchte an dieser Stelle an Sie appellieren, darüber nachzudenken, ob Sie das auch weiter so haben wollen und ob Sie es nicht für angebrachter hielten, dem, was am 8. Mai 1945 geschehen ist, jene (im wahrsten Sinn des Wortes!) "staatstragende" Bedeutung zukommen zu lassen, die dieser Tag für unser demokratisches Leben im heutigen Österreich wirklich hat. Bitte. Danke. (Gerhard Zeillinger, DER STANDARD, 11.5.2012)