Caracas/Puebla - Mit einem nächtlichen Telefonanruf im staatlichen Fernsehen begann vor einem Jahr offiziell der Kampf des venezolanischen Präsidenten gegen den Krebs. Kämpferisch zeigte sich Hugo Chávez damals, im Mai 2011. "Venceremos"- wir werden siegen - war seine Parole. Inzwischen bricht der sonst so Selbstbewusste schon einmal in Tränen aus und bittet Jesus um Beistand. Insidern zufolge geht es mit der Gesundheit des 57-Jährigen, der im Oktober für ein weiteres Mandat kandidiert, rapide bergab.

Seit Jahresbeginn hat er fast zwei Monate in Kuba verbracht, wo ein weiterer Tumor entfernt wurde, doch die Prognose ist alles andere als rosig. Ein brasilianischer Arzt, der anfänglich hinzugezogen worden war, warf den Kubanern vor, Chávez mit Dopingmitteln aufgeputscht zu haben, um für den Wahlkampf eine Genesung zu suggerieren. Dies sei aber absolut kontraproduktiv gewesen. In Medienberichten hieß es, der Krebs im Beckenraum habe bereits Metastasen gebildet. Inzwischen müsse Chávez sogar Windeln tragen und am Stock gehen, wie der venezolanische Journalist Nelson Bocaranda berichtete.

Sein Land regiert Chávez nun per Twitter und Telefon. Noch beteuern der Präsident und sein Umfeld, die Genesung stehe kurz bevor. Allein die Fakten sprechen eine andere Sprache: Verzweifelt versucht Chávez, die Fäden in der Hand zu behalten.

"Chávismo" stellt Weichen

Eine Nachfolgediskussion hat er in den 14 Jahren seiner Herrschaft stets unterbunden. Doch als zuletzt ein erbitterter Machtkampf entbrannte, musste Chávez nachgeben: Er setzte einen Staatsrat ein; eine kollektive Staatsführung nach kubanischem Vorbild.

Damit ist allerdings die Machtfrage innerhalb des "Chávismo" noch nicht entschieden, denn die zehn Räte - Diplomaten, Militärs und Politiker - gehören zur zweiten Riege. Nur Vizepräsident Elías Jaua und Ex-Vize José Vicente Rangel stechen hervor. Andere Schwergewichte wie Außenminister Nicolás Maduro, Parlamentspräsident Diosdado Cabello oder Chávez' Bruder Adán, fehlen.

Ein weiteres Szenario ist das einer Militärjunta, die den Ausnahmezustand ausruft, die Wahlen im Oktober suspendiert und so lange regiert, bis sich ein Nachfolger herauskristallisiert hat. Doch diese Variante scheint unwahrscheinlich: Der internationale Druck wäre sehr hoch. Nicht nur, weil es ein klarer Verstoß gegen demokratische Grundsätze wären, sondern auch weil der in die USA geflüchtete Oberste Richter Eladio Aponte dem US-Geheimdienst bereits zahlreiche Informationen über die Beteiligung des venezolanischen Militärs am Drogenhandel geliefert hat. Mehrere der Generäle stehen ohnehin schon auf der schwarzen Liste von Personen, die im Verdacht stehen, mit der Drogenmafia und Terrororganisationen zusammenzuarbeiten.

Einzig die Umfragen bleiben stabil: Demnach führt Chávez weiterhin mit gut 15 Punkten vor seinem Herausforderer, dem bürgerlichen Einheitskandidaten Henrique Capriles.

Und selbst wenn Capriles die Wahlen gewinnen sollte - der Kongress bleibt noch bis 2015 in der Hand der Chávistas. (Sandra Weiss /DER STANDARD, 11.5.2012)