Diese Wut, diese im Faustkampf erworbenen Seiten: August Strindberg.

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"Er sieht sich als primitive Aufruhrsgestalt, als Wilder am Waldrand, pyromanisch zur Stadt herüberstarrend, die er angezündet hat", so Peter Weiss. August Strindberg: der Frauenhasser, der unheilige Beziehungsnarr, der Rasende. Ein weltweit aufgeführter, aber geifernd misogyner Maniker, ein vulkanisches Gefühlsinferno auf zwei Beinen. Diese und andere Mythen überwuchern bis heute Strindbergs Werk, das so polarisierend wie vielgestaltig ist. Er ließ kein literarisches Genre aus und schrieb Romane, Novellen, Dramen, Essays, Komödien, Gedichte und Satiren, Legenden und Märchen, zudem malte er und experimentierte mit Fotografie. Es ist ein, so Thomas Mann, "wetterleuchtendes Werk gewaltigen Umfangs" - auf 72 Bände ist die 1981 begonnene schwedische Gesamtausgabe angelegt. Auch war Strindberg Okkultist, Agitator, Mystiker, Religionskritiker, Utopist und ein verspielter Briefeschreiber. Sowie ein sich entblößender Mythenmacher seiner selbst.

Wechselhaft war sein Leben. Am 22. Jänner 1849 in Stockholm geboren, fallierte sein Vater, ein Schiffskommissionär, vier Jahre später. Abgebrochenes Sprachenstudium, abgewiesen von einer Schauspielschule. Arbeitet daraufhin als Hauslehrer. Und schreibt. Arbeit als Telegrafenamtsgehilfe. Dann Zeitungsredakteur und Bibliothekar. Dann, infolge von Gerichtsprozessen, ruhelos Städte- und Länderwechsel: Paris, die französischsprachige Schweiz, Lindau am Bodensee ("Zum 1. Mal in meinem Leben wohnhaft in Deutschland. Nach französischer Absinthaufhetzung und Schweizer Hirtenlebenpimpelei, bin ich endlich in einem Land, wo das Patriarchat und Mannesglied noch in Ehre und Achtung gehalten werden"), Dänemark, Berlin, Schweden, Dornach, Schweden. Ist 1889 so verarmt, dass er ernsthaft überlegt, Kellner oder Hausdiener zu werden. 1908, drei bös gescheiterte Ehen hinter sich, lässt er sich endgültig in Stockholm nieder. 1910 löst er ein letztes Mal einen Skandal aus, in einer Artikelserie attackiert er frontal das schwedische Bürgertum. Am 14. Mai 1912 stirbt August Strindberg an Magenkrebs.

Gefühlstumulte und psychotische Kopfdelirien, neurotische Metastasen und ins Außen gewendete Gigakomplexe, damit rang Strindberg. Zum Schreiben benötigte er einen Aggregatzustand am Siedepunkt, was fürs Leben bedeutete, dass Aggression in Permanenz herrschte. Strindberg: "Bewahre uns Gott vor Schriftstellern, die wiedergeben, was sie in Büchern gelesen haben." Schon als 23-Jähriger bekannte er, er dichte nie, "und wenn ich dichte, dann aus vollem Herzen". Die Grenzen zwischen Dichtung, Leben und Wahrheit, Introspektion, Projektion und Suggestion, zwischen Medialem und Imaginärem durchlöcherte der ungebärdige psychische Extremist, der sich regelmäßig von Ärzten seelische Gesundheit attestieren ließ.

Brach er so nicht eben der Moderne Bahn? "Meine Gestalten", so Strindberg, "sind zusammengesetzt aus vergangenen und gegenwärtigen Kulturphasen, aus Bücherseiten und Zeitungsblättern, aus Stücken anderer Menschen, aus Kleiderfetzen und Lumpen, und ihre Ideen entnehmen sie wechselweise von einander." Strindbergs Welt ist eine kollabierende, seine Zeit, in ihm aufgepeitscht aufglühend, eine erstaunlich nahe.

Sein Werk in Übersetzung ist auf viele Verlage verteilt. Sein Romanerstling Das Rote Zimmer liegt seit kurzem in einer Neuübersetzung im Manesse-Verlag vor, Per Olov Enquists Strindberg. Ein Leben hat btb neu aufgelegt, die Friedenauer Presse präsentierte 2011 drei Marinestücke voller jäher Schwankungen und elementarer Wettereinbrüche, die Strindberg schrieb, als er auf einer Schäreninsel vor Stockholm arbeitete; im Herbst wird bei Marebuch eine dreibändige Kassette seiner gesamten maritimen Prosa erscheinen. Und Friedrich Buchmayr beschreibt gründlich die desaströse Beziehung zur Österreicherin Frieda Uhl, seiner zweiten Ehefrau (Madame Strindberg oder die Faszination der Boheme, Residenz-Verlag).

Gefallen hätte ihm wohl, dass dieser Tage die Proben für die Aufführung von Nach Damaskus am Stockholmer Stadsteatern scheiterten. Grund: ein vulkanischer Disput zwischen Schauspieler und Regisseur. Kennen die zwei vielleicht Franz Kafkas Bemerkung über ihn: "Der ungeheure Strindberg. Diese Wut, diese im Faustkampf erworbenen Seiten"?   (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 12./13.5.2012)