Kleinere Nachbarn halten nur mit Mühe dagegen.
Es war ein Versprecher. CCTV-Moderatorin He Jia hatte im Nachrichtenkanal "24 Stunden" einen zu patriotischen Ton angestimmt. Die Scarborough-Inseln im Südchinesischen Meer, die auf Chinesisch "Huangyan" heißen und zwischen Peking und Manila hoheitlich umstritten sind, "gehören seit jeher zu China", erklärte He. Statt "Huangyan-Inseln" sagte sie aber versehentlich: "Die Philippinen gehören seit jeher zu China." Obwohl der Staatssender den Fauxpas rasch von der Website nahm, wurde der Nachrichten-Clip von hunderten Blogs weiterverbreitet. Sie lobten He ausdrücklich: "Macht sie zur Sprecherin des Außenministeriums!"
Wieder einmal kochen patriotische Gefühle hoch. Es ist, schreibt die Nachrichtenagentur Xinhua, der "schwerste Streit seit Jahrzehnten". Die 150 Quadratkilometer weite, vor allem aus Riffen bestehende Scarborough-Inselgruppe liegt 124 Seemeilen von den Philippinen entfernt. Wegen ihrer reichen Fischgründe zieht sie immer mehr chinesische Fangflotten von der 550 Seemeilen entfernten Inselprovinz Hainan an, dem nähesten südlichen Punkt der Volksrepublik. Immer wieder machte die philippinische Marine seit den 1990er-Jahren auf die unerwünschten Eindringlinge Jagd.
Doch diesmal scheint es ernster, obwohl der Vorfall, der so viel Erregung auslöst, kaum größer als frühere Zwischenfälle ist. Doch China hat inzwischen eine modernisierte Marine, weitreichende, in der Luft auftankbare Militärflieger, erprobt seinen ersten Flugzeugträger, versteht sich als auftrumpfende Weltmacht.
Auslöser der Krise waren Anfang April ein Dutzend chinesische Fischfangtrawler, die vor einem Sturm Schutz in der Lagune suchten. Philippinische Boote kesselten sie ein, durchsuchten die Schiffe. Chinas Patrouillenboote holten die Fischer heraus. Seither eskaliert der Streit. Manila verlangt nach internationaler Schlichtung. Peking verbittet sich die Internationalisierung eines bilateralen Konflikts. Vizeaußenministerin Fu Ying bestellte den philippinischen Geschäftsträger in Peking dreimal ein und drohte: Man verliere die Geduld, habe alle Vorbereitungen für andere Optionen getroffen.
Solche Alarmsignale werden von einer Flut pseudowissenschaftlichen Abhandlungen begleitet, die alle nachweisen wollen, dass die Huangyan-Inseln seit jeher, mindestens aber seit dem Jahr 1279 von China vereinnahmt worden seien. Solche Propagandasalven gingen auch früher schon Krisen Chinas mit seinen Nachbarn voraus. Sie endeten dann in sogenannten "Lektionen", die Peking etwa Vietnam erteilte, vom Seekrieg 1974 um die südchinesischen Xisha (Paracel-Inseln) bis zum kurzen Vietnamkrieg. "China ist zur Eskalation bereit", titeln derzeit auch wieder Zeitungen in Kanton und Shenzhen an der Küste des Südchinesischen Meers. Das Organ der Volksbefreiungsarmee warnte diffus: "Es wäre ein schrecklicher Fehler, unsere Zurückhaltung als Schwäche auszulegen."
Im Hintergrund geht es nicht nur um Patriotismus. Das Südchinesische Meer ist das einzige noch unerschöpfte Reservoir für Fischfang, für Öl- und Gasressourcen. Am Mittwoch nahm Chinas Offshore-Ölgruppe (CNOOC) die erste Plattform für Tiefseebohrungen im Südchinesischen Meer in Betrieb. China ist damit das erste Land, das dort bohrt. 30 Mrd. Kubikmeter Gas vermutet CNOOC-Geologe Shi Hesheng im ersten Claim. In der Region rechnet er mit Vorräten von 700 Millionen Tonnen Erdöl und 1,2 Billionen Kubikmeter Erdgas. Im Südchinesischen Meer sollen insgesamt Lagerstätten mit 23 bis 30 Mrd. Tonnen Öl und bis zu 16 Billionen Kubikmeter Erdgas liegen, ein Drittel aller bisher bekannten Vorräte Chinas. Die Ölbohrinseln hätten auch eine strategische Bedeutung, zitiert Xinhua einen Juristen der Tsinghua-Universität. Sie seien "mobile Territorien Chinas". Auch so kann man, Ölinsel um Ölinsel, seine Besitzansprüche ausdehnen. (Johnny Erling aus Peking /DER STANDARD, 12.5.2012)