Fernsehen zum Mitmachen, "die Macht" macht's möglich.

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Der Bayerische Rundfunk (BR) hat das älteste TV-Publikum Deutschlands. Das Durchschnittsalter beträgt 64 Jahre, erhob die Media Control 2011. Es ist also gut möglich, dass die "Rundshow", die am Montag erstmals on air geht, etwas ungewöhnlich ist für die Zuseher des dritten Programms aus München.

Richard Gutjahr, "Rundschau"-Moderator und Blogger, soll für den Bayerischen Rundfunk experimentieren, wie man das Internet im Fernsehen sichtbar macht. Die "Rundshow" ist ein neues Format, das nach den 30 Minuten am TV-Bildschirm nicht zu Ende ist, sondern rund um die Uhr "sendet" und aus Social Media "empfängt". Die Piratenflagge ist gehisst.

Fernsehen mit der App

Vier Wochen lang kann die Show nicht nur linear als passiver Couchpotato konsumiert werden, sondern auch aktiv. Eine "programmbegleitende" Fernbedienung, die App "Die Macht" macht es möglich. Man kann live kommentieren, an Abstimmungen teilnehmen und Zustimmung oder Missfallen äußern. Gefällt, was am Bildschirm läuft, drückt man auf das "Daumen hoch"-Symbol. Wenn das genug Leute machen, dann wird Applaus ins Studio eingespielt.

Via Hangout auf Google+ kann man sich während der Show auf Augenhöhe zuschalten. Davor wird die Redaktionskonferenz ins Netz gestreamt und Zuspieler sollen zur Diskussion in Social Media (Facebook, Twitter, Google+) über den Tag hinweg anregen. Zur GFK-Reichweite kommen die Kommentar-Quote und Zugriffe auf YouTube-Videos.

Kein Quotendruck

Dabei kann die "Rundshow" ganz ohne Quotendruck arbeiten. Es gibt kein Quotenziel, eine Regelsendung sei nicht geplant, sagte Gutjahr vergangene Woche in einem Webinar des Forum Journalismus und Medien (FJUM). Das Werbebudget sei in Microfasertüchern (für die App) aufgegangen. Gutjahrs Ziel: Die (vergangene Woche noch) 700 Fans auf Facebook bis zum Ende des Projekts verdoppeln oder sogar auf 3000 Fans zu kommen. Sein Wunschzuschauer ist passiv in der ersten und zweiten Sendung, "in der dritten schickt er dann Tweets", so Gutjahr. Wer trollt, fliegt raus. "In der Show gilt das Gleiche wie beim Radio-Call-In, dann fliegt er einfach aus der Leitung."

Ob die Sendezeit nach 23 Uhr ein Vorteil oder Nachteil sei, wurde der "Rundshow"-Macher im FJUM-Webinar gefragt. Die Prime Time hätte er sich nicht gewünscht. "Um 20 Uhr will man nicht gleich wieder unter Strom mitvoten", so Gutjahr, aber "22.30 Uhr wäre perfekt gewesen".

"Wir wollen lernen"

Für Gutjahr, das "Enfant-terrible des BR", ist jetzt der richtige Zeitpunkt für das Social TV-Medienexperiment. "Wir wollen wirklich nur lernen. Ziel ist es, eine Infrastruktur aufzubauen, um in die Welt hinauszuhorchen. Wir haben eine Abteilung Sendetechnik, aber keine Empfangstechnik", sagte Gutjahr im FJUM-Webinar. Dieses Know-how habe der Bayerische Rundfunk nach der Show.

Social TV bleibt vorerst experimentell. Erst 2025 werde es Standard sein, "so wie wir heute E-Mails schreiben". Dabei eignet es sich nicht nur für TV-Shows, auch aktuelle Umfragen in Nachrichtensendungen wären für Gutjahr denkbar.

"Neues ausprobieren"

"In einer Welt, die einem solch rasanten Wandel unterliegt, werden Diejenigen bestehen, die sich trauen, Neues auszuprobieren", bloggte Gutjahr vor wenigen Tagen. "Was wir zu gewinnen haben, ist soviel mehr als das, was wir durch Nichtstun verlieren könnten."

Dass das Duo Richard Gutjahr und Netz-Moderator Daniel Fiene, bekannt vom Medienpodcast "Was mit Medien", dabei für ein im Umgang mit Social Media ungelenkes Publikum auch "quer" sein können, zeigt ein Beitrag von CSU-Chef Horst Seehofers Facebook-Party.

Gutjahr: "Wir sind von der Rundshow."
Seehofer: "Von der Rundschau."
Gutjahr: "Show"
Seehofer: "Von äh, von Quer?"

Im Teaser der frechsten Sendung des BR, dem Wochenmagazin "Quer", twittern die Alten und die Jungen geben sich Internet-skeptisch ("ist nur ein Trend"). Es wird sich zeigen, ob Bayern und die Social-Media-Welt für die "Rundshow" bereit sind. (Sabine Bürger, derStandard.at, 14.5.2012)