Selbst dem Jugendfreund fiel keine Anekdote ein, nicht einmal eine harmlose. Dass Michael Spindelegger in der Schule nicht sitzengeblieben ist, war die markanteste Schnurre, die Tennismanager Ronnie Leitgeb auf der Bühne in der Hofburg über die gemeinsame Vergangenheit zum Besten gab: "Wir haben die Arbeit, die vorgegeben war, erledigt."

Damit hatte Leitgeb bereits viel über die Rede gesagt, die Spindelegger im Anschluss hielt. Der Vizekanzler und ÖVP-Chef hat, wie im politischen Alltag auch, seine Arbeit getan. Das Ergebnis war weder peinlich noch berauschend. Solide hat Spindelegger 58 Minuten - gefühlt konnte es einem länger vorkommen - heruntergespult, auf bewährte Parteirhetorik gesetzt, ein paar neue Ideen gesponnen, ausgiebig die Konkurrenz geärgert. Die schwarzen Freunde im Auditorium haben artig geklatscht. Zwei-, dreimal kam ihnen sogar ein Lacher aus.

Also wieder eine Chance verpasst, das Image des braven Biedermannes abzulegen? Es wäre unfair, Michael Spindelegger nur nach dem Showtalent zu beurteilen. Nicht jeder Politiker - da hat er recht - muss Fallschirmspringen und durch Discos tanzen. Gerade in turbulenten Zeiten kann nüchterne Seriosität eine Tugend sein, die den Chef einer wertkonservativen Partei von Blendern abhebt.

Wenn aber die Verpackung unscheinbar ist, muss der Inhalt umso stärker glänzen. Die mantraartig beschworenen Werten werden Wähler nicht anziehen, wenn daraus keine konkrete Politik resultiert - und da bleiben auch nach Spindeleggers Rede viele Fragen offen. Ein paar handfeste Vorschläge sind ihm zwar eingefallen, doch letztlich blieben diese auf Nebenschauplätze wie einen Jungunternehmerfonds oder Boni für Jobvermittler beschränkt.

Über das Reizthema Zuwanderung wischte Spindelegger mit dem knappen Slogan "Fördern und fordern" drüber, kaum präziser wurde er bei der Schlüsselfrage Bildung. Zu Recht sprach er das desaströse Deutsch- und Mathematikniveau an, auf dem Schulen junge Menschen mitunter in die Arbeitswelt entlassen (müssen). Aber No-na-net-Forderungen nach mehr " Ressourcen und Respekt" für Lehrer werden Bildungsverlierern ebenso wenig nützen wie ein apodiktisches "Das Gymnasium bleibt!".

Ähnlich nebulös blieb, was die ÖVP unter der berühmten Leistungsgerechtigkeit versteht. "Steuern runter", proklamierte Spindelegger, ließ aber zwischen den Zeilen durchklingen, dass dies für die nähere Zukunft nur eine theoretische Idee sei. Schließlich habe Schuldenabbau Vorrang - und im bis 2016 fixierten Sparplan sind große Steuergeschenke nicht vorgesehen.

Der Steuerabsetzbetrag von 7000 Euro pro Kind ist wiederum "more of the same" mit neuem Anstrich: Schon jetzt fließt sehr viel Geld in die Familienförderung - wie sich an der Geburtenrate zeigt, mit magerem Erfolg.

Tunlichst ignoriert hat Spindelegger ein Kernthema seines Vorgängers Josef Pröll: die Verwaltungs- und Föderalismusreform. Überhaupt verkniff er sich, von einer flüchtigen Schelte für nicht näher benannte "Korruptionisten" abgesehen, Zumutungen für die eigenen Parteifreunde. Aus seiner Sicht kann man das verstehen. Die Umfragewerte sind im Keller, der Obmann steht mit dem Rücken zur Wand. Da gilt es vor einem Wahlkampf die Reihen zu schließen. Seine "Österreich"-Ansprache machte er damit jedoch zur Mogelpackung: Gehalten hat Spindelegger eine Wahlkampfrede. (Gerald John, DER STANDARD, 15.5.2012)